Frauen in der Chirurgie: Drei Ärztinnen erzählen von ihrem Weg in den Beruf

Chirurgin bereitet sich auf OP vor
  • Beruf & Karriere
  • 14.05.2021

Nur wenige junge Ärztinnen entscheiden sich für die Chirurgie. Diese gilt immer noch als Männerbastion. Ist es wirklich so hart, sich als Frau im OP durchzusetzen? Drei Nachwuchs-Chirurginnen erzählen.

Nach wie vor sind Chirurginnen in deutschen OPs in der Minderheit: Über alle operativen Fachgebiete hinweg betrug ihr Anteil 2020 rund 22 Prozent, so die Statistik der Bundesärztekammer. Immerhin weist der Trend in den vergangenen Jahren nach oben. Wir haben mit drei Ärztinnen gesprochen, die in der Chirurgie tätig sind: Was begeistert sie an ihrer Arbeit? Und wie lassen sich Karrierehürden überwinden, seien es Barrieren im Klinikalltag – oder im Kopf?
 


Elisa Eiber (31) begann ihre Weiterbildung zur Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie am Evangelischen Krankenhaus Mittelhessen Gießen. Aktuell ist sie in Elternzeit.
 

Dr. med. Elisa Eiber

Foto: privat


„Als ich mit dem Studium anfing, stand für mich schon fest, dass ich Chirurgin werden wollte. Mein Vater ist selbst Unfallchirurg, und daher wusste ich, dass mir das gefallen würde – weil der Beruf Fachwissen mit Handwerk verbindet. Im Studium habe ich mich stark darauf konzentriert, was für mich als künftige Chirurgin relevant war. Natürlich habe ich bei Praktika auch andere Bereiche kennengelernt, aber nichts hat mir so gut gefallen wie die Chirurgie. Andere Ärzte verbringen den Tag überwiegend mit Visite, Diagnostik und am Schreibtisch. In der Chirurgie helfen wir den Patienten praktisch und können uns immer auf einen spannenden Arbeitstag freuen.

2015 habe ich meine Stelle als Assistenzärztin in der Orthopädie und Unfallchirurgie am Evangelischen Krankenhaus in Gießen angetreten. Die Klinik kannte ich schon von den ‚Klopfkursen‘ und meinem PJ. Trotzdem hatte man mir die Arztstelle nicht einfach so angeboten. Ich musste recht offensiv vorgehen und habe einen Oberarzt gebeten, dem Chef mein Interesse mitzuteilen. Das hat dann geklappt. Ob ich so hinterher sein musste, weil ich eine Frau bin, kann ich nicht sagen, aber was feststeht, ist: Die Unfallchirurgie ist noch mehr als andere chirurgische Fächer ein Männerberuf. In Gießen waren unter den Assistenzärzten fünf Männer und neben mir eine weitere Frau. Dass sich junge Kolleginnen von der Unfallchirurgie fernhalten, liegt auch an dem Macho-Image unseres Berufs. Nach dem Motto: Da muss man nicht so viel mit Patienten reden, keine 20-seitigen Arztbriefe schreiben und kann sich handwerklich betätigen – alles Dinge, die viele Leute eher Männern zuschreiben.
 

Der Ton unter Kollegen ist schon mal flapsig. Ich kann Kommentare gut kontern, aber manches nagt trotzdem an einem. Zum Beispiel der Vorschlag, dass wir Frauen doch mehr von der Stationsarbeit und Aufklärung machen könnten, weil uns das angeblich mehr liegt. Ich habe auch erlebt, dass männliche Kollegen leichter an bestimmte OPs gekommen sind, die man für die Weiterbildung braucht. Es gibt ein Buddy-System unter Männern. Mir wurde auch einmal nahegelegt, mehr Hand-OPs zu machen, weil ich dafür weniger Kraft brauche als bei einem Eingriff am Bein. Solche Klischees sind in den Köpfen der Oberärzte teilweise noch drin. Ich habe die interessanten OPs selbst eingefordert, und sie wurden mir dann auch ermöglicht.

Nach der Elternzeit werde ich meine Weiterbildung fortsetzen. Da wir inzwischen nach Mittelfranken umgezogen sind, muss ich mir eine neue Stelle suchen. Mein Mann und ich wollen in Zukunft beide etwa 80 Prozent arbeiten, um genug Zeit für die Familie zu haben. Zur Fachärztin fehlen mir noch ungefähr zwei Jahre. Ich muss sagen, dass mich Schwangerschaft und Babypause schon herausgebracht haben. Weil wir in der Unfallchirurgie viel mit Röntgen arbeiten, habe ich meine Schwangerschaft in Gießen früh bekanntgegeben. Das Ergebnis war ernüchternd. Unser Betriebsarzt hat die Regeln sehr konservativ ausgelegt. Ich durfte ab der 7. Woche praktisch nicht mehr in den OP und habe nur noch Stationsarbeit gemacht. Andere Häuser ermöglichen es schwangeren Ärztinnen, weiter zu operieren. Dafür hat die Initiative Operieren in der Schwangerschaft extra Leitlinien entwickelt.

Für Studentinnen, die sich für Orthopädie und Unfallchirurgie interessieren, habe ich den Rat: Lasst euch nicht durch Vorurteile aus unqualifizierten Quellen davon abbringen. Man muss zum Beispiel keine 80-Stunden-Wochen arbeiten – es gibt viele Kliniken, die Flexibilität anbieten. Macht euch selbst ein Bild und hospitiert informell für ein paar Tage in der Unfallchirurgie einer Klinik oder in einer operierenden Praxis. Fragen lohnt sich. Wer Eigeninitiative zeigt, wird eine Antwort kriegen.“

 


Anke Mittelstädt (32) ist auf dem Weg zur Fachärztin für Viszeralchirurgie am Universitätsklinikum Erlangen.
 

Dr. med. Anke Mittelstädt

Foto: Universitätsklinikum Erlangen


„Als Studentin habe mich eher in der Inneren Medizin gesehen. Als es mit den Famulaturen losging, wollte ich in einem Fachbereich beginnen, der für mich weniger in Frage kam: in der Viszeralchirurgie am Diakovere Henriettenstift in Hannover. Und das war dann eine positive Überraschung. Das kleine Team war so freundlich und entspannt. Ich durfte im OP assistieren, ich lernte Knoten und Nähen, und der Arbeitstag verging wie im Flug. Von da an war ich begeistert von der Chirurgie und zu hundert Prozent sicher, dass das genau mein Ding ist. Es wurde dann auch die Viszeralchirurgie, weil ich diese chirurgische Fachrichtung am spannendsten finde. Hier hat man viele interdisziplinäre Schnittstellen, unter anderem zur Inneren Medizin.

Nach drei Jahren Weiterbildung in Hannover bin ich 2019 umgezogen und arbeite seitdem an der Uniklinik in Erlangen. Hier kann ich auch Forschung und Lehre betreiben und größere OPs sehen und mitmachen. Meine Facharztprüfung plane ich für den Sommer 2022. Aufgrund meiner guten Ausbildung mit dem Grundstock in Hannover habe ich meinen OP-Katalog aber schon voll und darf bereits Facharztdienste machen, bin also im Vordergrund hauptverantwortlich für die Patienten und kann mit einem jüngeren Kollegen alleine operieren. Unkomplizierte Eingriffe traue ich mir schon allein zu, zum Beispiel Blinddarm- oder Gallenblasen-OPs. Und ich weiß, dass ich jederzeit einen erfahreneren Kollegen oder den Oberarzt dazu holen kann. So lerne ich selbstständiger zu werden, mit einem sehr beruhigenden Back-up.

Ich hatte an beiden Kliniken Glück mit meinen Vorgesetzten. Unser Chef in Erlangen zum Beispiel ist jung und unterstützt Frauen, die Potenzial haben und sich engagieren. Ich finde, da merkt man schon einen Generationenwechsel in der Chirurgie. Auf der Ebene der Assistenzärzte ist das Verhältnis von Frauen und Männern in unserem Team gut gemischt. Ich persönlich habe auch nie Vorurteile oder blöde Kommentare erlebt. Als Ärztin erwarte ich von meinem Arbeitgeber, dass ich genauso gefördert werde wie meine männlichen Kollegen. Nicht mehr, das halte ich für falsch. Ich bin der Meinung, dass gute und engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefördert werden sollten, unabhängig vom Geschlecht.

Familie ist für mich aktuell kein Thema, aber ich möchte auch nicht ausschließen, dass ich doch noch einmal Mutter werde. Mit Kindern ist der Beruf auf jeden Fall schwieriger, weil er sowohl körperlich als auch mental sehr fordernd ist. Das mit Familie zu vereinbaren kann ich mir zurzeit nicht vorstellen, weil ich in dieser Lebensphase Vollgas gebe. Es gibt aber auch genug Beispiele von Kolleginnen, die das hinbekommen. Viel hängt sicher davon ab, wie gut der Partner mitzieht und vor allem wie man sich organisiert.

Studentinnen kann ich nur raten, dass sie ihre Fähigkeiten nicht zu sehr hinterfragen sollten. Frauen tendieren dazu eher als Männer. Wenn du erste Erfahrungen in der Chirurgie sammelst und nicht alles perfekt klappt, solltest du dich davon nicht abschrecken lassen und dich weiter durchbeißen. Umso schöner ist es dann, wenn du eines Tages deine ersten OPs alleine machst. Das ist der Wahnsinn.“
 

Eine Schnittstelle für Frauen

Der Verein „Die Chirurginnen“ vernetzt Ärztinnen, die in der Chirurgie tätig sind und steht auch interessierten Studentinnen offen. Inzwischen sind fast 400 Chirurginnen in der Gruppe organisiert. Unter anderem geht es dem Verein darum, den Nachwuchs zu fördern und Medizinerinnen bei ihren ersten Karriereschritten zur Seite zur stehen.
 


Aline Tiegelkamp (37) ist Fachärztin für Allgemeinchirurgie und arbeitet an der Helios Mariahilf Klinik Hamburg.
 

Dr. med. Aline Tiegelkamp

Foto: privat


„Meine ersten Erfahrungen in der Chirurgie habe ich 2010 im PJ an der Kieler Uniklinik gemacht – unter anderem in der Kinderchirurgie, die von einer Chefärztin geleitet wurde. Davor hatte ich die chirurgischen Fächer immer gemieden, aus Angst davor, dass ich das nicht kann. Ich dachte, das ist Handwerk und eher etwas für Männer, und als Frau braucht man da Ellenbogen. Im PJ habe ich mich dann voll reingekniet und alles mitgemacht im OP, was möglich war. Ich durfte nicht nur Haken halten, sondern auch kleine Schnitte und Nähte machen. Die Chefärztin meinte, ich hätte ‚Gefühl fürs Gewebe‘ und die Chirurgie wäre vielleicht etwas für mich. Und da dachte ich zum ersten Mal: Mensch, das ist doch ziemlich cool. Vielleicht kann ich das ja wirklich?

Nach dem Studium habe ich der Sache eine Chance gegeben. Ich habe als Ärztin in Weiterbildung in der Allgemein- und Viszeralchirurgie an der Helios Mariahilf Klinik in Hamburg angefangen. Da arbeite ich bis heute und habe 2020 meinen Facharzt gemacht. An der Allgemeinchirurgie gefällt mir die Vielfalt und die Möglichkeit, Probleme konstruktiv zu lösen. Man hat jeden Tag Erfolgserlebnisse.

Der Frauenanteil ist bei uns relativ hoch. Zeitweilig waren wir drei Ärztinnen und nur ein Arzt in Weiterbildung. Unter den Fachärzten bin ich jetzt aber die einzige Frau. Wir haben inzwischen flexiblere Arbeitszeitmodelle, aber das musste sich erst zurecht ruckeln. Ich war dabei die Erste. Nach der Elternzeit bin ich 2014 mit einer 75-Prozent-Stelle wiedereingestiegen. Da mussten wir uns im Team anders einteilen – ich konnte zum Beispiel nicht mehr wie früher sieben Dienste am Stück machen. Da müssen schon alle Beteiligten gewillt sein, etwas Neues auszuprobieren. Manches hat Vorteile: Wenn drei Leute sich zwei Stellen teilen, kann das organisatorisch sogar vorteilhaft sein. Mein Chef, die Oberärzte und Kollegen haben es auch von Anfang an mitgetragen, dass ich aus OPs ausgelöst werde, wenn mein Arbeitstag zu Ende ist. In einer kritischen Situation bleibe ich natürlich auch mal länger. Wir haben in der Klinikgruppe eine AG zum Thema Weiterbildung gegründet. Darin tauschen wir uns unter anderem über Arbeitszeitmodelle aus und entwickeln Best Practices.

Ich bin außerdem in einem Chirurginnen-Netzwerk aktiv und weiß, dass es auch an anderen Orten innovative Modelle gibt. Ich höre zum Beispiel, dass Kolleginnen nach dem Wiedereinstieg weiter stillen – das war bei mir nicht möglich. Die nachfolgende Generation von Chirurginnen profitiert davon, dass sich gerade sehr viel zum Besseren entwickelt. Studentinnen rate ich: Wenn ihr Lust auf Chirurgie habt, probiert es einfach aus. Es gibt viele Möglichkeiten, sich in der Chirurgie seine Nische zu suchen. Manche chirurgischen Fächer erfordern weniger körperliche Kraft oder setzen nicht voraus, dass man bis zu acht Stunden am Stück operiert. Sucht euch weibliche Vorbilder. Von denen gibt es heute mehr als zu meiner Studienzeit.“