Immer lächeln: Herzchirurgie in Hiroshima

Hiroshima
  • Studium & Lernen
  • 13.05.2019

Japan ist für Naomi Kleine wie eine zweite Heimat. Vor ihrem Medizinstudium in Hannover hat sie schon ein Freiwilliges Soziales Jahr in Hiroshima verbracht. Es war klar, dass sie als Famulantin dorthin zurückkehren würde. In unserem Auslands-Check berichtet sie von ihren Erfahrungen in der Herz- und Gefäßchirurgie am University Hospital Hiroshima.

Organisation: Entspannt auf den letzten Drücker

„Die Uniklinik in Hiroshima hat eine Partnerschaft mit der MHH Hannover. Daher war es relativ einfach, die Famulatur zu organisieren. Ich habe mich ein dreiviertel Jahr vor der Famulatur ganz normal beworben – am letzten Tag vor Ende der Frist. Hiroshima ist bei Famulanten in den letzten Jahren immer beliebter geworden: Für zwei Plätze gab es mehr als 20 Bewerber. Trotzdem hat es geklappt. Meine Vorerfahrung und meine Sprachkenntnisse haben sicher geholfen.“

Wohnen: Schlafen, wo man arbeitet

„Meine Unterkunft war direkt auf dem Gelände des Hiroshima University Hospital. Dort gibt es fünf Gästezimmer. Meines hatte etwa 15 Quadratmeter und war einfach möbliert. Es gab nur leider keinen Herd – wenn es bei der Arbeit später wurde, hätte ich mir abends gern etwas gekocht. Aber es war in Ordnung, immerhin musste ich keine Miete zahlen, weil die Hochschule die Kosten übernommen hat.“

Arbeit: Praktisches Farb-System im OP

„Den Bereich Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie hatte ich schon an der MHH kennengelernt, während eines Praktikums im Rahmen des Chirurgie-Moduls. In Hiroshima war ich bei vielen OPs dabei und konnte mein Wissen vertiefen. Insgesamt ist der Klinikbetrieb sehr ähnlich wie in Deutschland. Interessant fand ich, dass Assistenzärzte einmal im Monat für ein Wochenende in ein ländliches Krankenhaus entliehen werden – es gibt dort wie bei uns einen Ärztemangel. Mein Arbeitstag begann gegen halb neun, meistens direkt im OP, und endete in der Regel um 17 Uhr, wenn ich nicht bei einer längeren Operation dabei bleiben wollte. Ich konnte mir aussuchen, ob ich steril arbeite, je nachdem, ob ich bei den Chirurgen oder bei den Anästhesisten stehen wollte. Die Ärzte haben mir viel erklärt; am Ende einer OP durfte ich oft nähen. Was ich für die Kommunikation sehr praktisch fand, war die unterschiedliche Kleidung: Die Chirurgen tragen Grün, Narkoseärzte Blau, Pfleger Rosa und Studenten Gelb.“
 

Die Bombe und die Folgen

Friedensdenkmal: der 1945 zerstörte sogenannte Atombombendom, einst eine Ausstellungshalle für Handelswaren (Foto: privat)


Die Millionenstadt Hiroshima ist heute ein wichtiger Industriestandort im Südwesten Japans. Weltweit bekannt wurde die Stadt jedoch wegen ihrer bitteren Geschichte: Am Ende des Zweiten Weltkriegs fiel hier die erste Atombombe. Rund 80 Prozent der Gebäude wurden zerstört, etwa 90.000 Menschen starben sofort, an den Spätfolgen schätzungsweise bis zu 166.000 weitere. Da die Bombe in rund 600 Metern Höhe explodierte, gab es vergleichsweise wenig radioaktiven Niederschlag. Heute ist die Strahlenbelastung nicht höher als in anderen Regionen der Erde. Laut Naomi Kleine, die mit einer Zeitzeugin gesprochen hat, werden Überlebende aber noch immer stigmatisiert. Naomis Tipp für Besucher der Stadt: „Das Museum im Friedenspark in Hiroshima behandelt das Thema ausführlich und ist didaktisch wirklich gut aufgebaut.“

Atmosphäre: Freundlich trotz Stress

„Alle Klinikmitarbeiter waren sehr angenehm im Umgang. Ich hätte mir manchmal mehr Direktheit gewünscht. Man kriegt ein Lächeln und bekommt nicht mit, wenn etwas nicht stimmt. Auch manche Patienten sagen nichts, wenn sie Schmerzen haben. Gewöhnungsbedürftig finde ich auch die extrem ausgeprägte Arbeitsmoral. Einer der japanischen Ärzte hat dreimal in der Woche im Krankenhaus übernachtet. Im OP halten sie es sehr lange ohne richtige Pause aus. Einmal blieb ich abends länger, ging aber dann doch vor den anderen, weil ich großen Hunger hatte und sehr müde war. Ein paar von den jungen Ärzten haben erzählt, dass sie schon Bluthochdruck haben – vermutlich stressbedingt.“

Verständigung: Japanisch und Französisch bevorzugt

„Ich habe schon als Jugendliche Japanisch gelernt und mich während meines ersten Jahrs in Hiroshima an den Akzent in der Region gewöhnt. Darum hat es nur ein paar Tage gedauert, bis mein Japanisch wieder auf brauchbarem Niveau war – für Fachgespräche reichte es allerdings nicht. Das hat schon Vorteile, weil man in der Landessprache besser mit den Kollegen in Kontakt kommt. Viele in der Abteilung können aber auch sehr gut Französisch, da die Abteilung einen Austausch mit einer Klinik in Frankreich unterhält. Viele Assistenzärzte haben dort ein oder zwei Jahre während ihrer Ausbildung verbracht. Auf Englisch sind Unterhaltungen oft mühsamer.“

Berufschancen: Weniger Frauen in der Medizin

„Anders als Deutschland sind in Japan ungefähr 70 Prozent der Medizinstudierenden Männer – das Geschlechterverhältnis ist also genau umgekehrt wie bei uns. Auch in der Chirurgie der Uniklinik Hiroshima habe ich nur wenige Frauen gesehen. Mein dortiger Chef sagte ganz offen, er würde keine Frau einstellen. Familie und Arbeit lassen sich in Japan schwer unter einen Hut bringen. Ich weiß von Ärztinnen, die ihren Beruf aufgeben, sobald Kinder da sind. Es verändert sich aber etwas: Die junge Generation japanischer Frauen ist selbstbewusster.“
 

Naomi Kleine (25) wuchs in Garbsen bei Hannover auf. Nach dem Abitur wollte sie erst Physik studieren. Während ihres FSJ an einer Kindertagesstätte in Hiroshima stellte sie fest, dass sie lieber in einem sozialen Beruf arbeiten wollte, und entschied sich für die Medizin (Hier geht es zur Story auf Scrubsmag). Später möchte Naomi sich auf Allgemein- und Arbeitsmedizin spezialisieren und in einer Hausarztpraxis arbeiten – weil ihr die fachliche Breite und das enge Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten gefallen.

Reisen: Heißer Sommer, heiße Quellen

„Vor der Famulatur bin ich mit einer Freundin einen Monat durch Japan gereist. Als wir im August in Tokio gelandet sind, war es superheiß. Die Stadt beeindruckt vor allem durch ihre Größe und die kleinen Tempel, die etwas verloren zwischen den Hochhäusern auftauchen. Von Tokio aus fuhren wir Richtung Süden, insgesamt mehr als 1.000 Kilometer. Wir haben immer Nachtbusse genommen, weil die viel günstiger sind als Züge. Unsere nächste Station war Kyoto, wo wir in den umliegenden Wäldern wandern waren – in der Stadt haben wir es wegen der Hitze kaum ausgehalten. Danach haben wir uns Fukuoka und die Umgebung angesehen. Vor der Stadt liegen einige kleine Inseln, auf einer davon gibt es einen großen Blumengarten. Zum Schluss sind wir nach Beppu gefahren, wo es schöne heiße Quellen mit türkisblauem Wasser gibt. Leider war es immer noch ziemlich heiß, zirka 32 Grad, aber das Baden tat am Abend trotzdem gut.“

Finanzen: Wer reisen will, braucht einige Ersparnisse

„Über die MHH habe ich ein Auslandsstipendium über 500 Euro bekommen. Damit konnte ich die halben Flugkosten decken. Alle weiteren Ausgaben habe ich aus Ersparnissen finanziert, insgesamt etwa 2.000 Euro – das meiste ging für unsere Reise drauf. Wenn man nur arbeiten geht und viel auf dem Zimmer sitzt, reichen im Monat auch 300 Euro.“