Ran an die Hauptschlagader - in Hongkong

  • Studium & Lernen
  • 22.03.2019

Die Herausforderungen in der Aortenchirurgie sind überall gleich? Nicht ganz, berichtet Sebastian Bertele, der vier Monate seines Medizin-PJs an einer Klinik in Hongkong absolviert hat.

Die Aortenchirurgie ist ein Aushängeschild der Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Sebastian Bertele hat sich in seinem Studium schon intensiv mit diesem Gebiet befasst: Drei Jahre lang hat der 24-Jährige in der Forschung der Arbeitsgruppe Aortenchirurgie mitgewirkt und durfte als Doktorand bei mehreren Operationen mit am Tisch stehen. Später will er sich auf Herz- und Aortenchirurgie spezialisieren. Im Sommer  2017 schlug Sebastians Chef Prof. Dr. Malakh Lal Shrestha ihm vor, an einer Hongkonger Herzklinik zu hospitieren. Shreshta und Professor Malcolm Underwood, Leiter des Aortenprogramms am Prince of Wales Hospital in Hongkong, kennen sich noch aus Schulzeiten und wollen eine Forschungskooperation aufbauen. Aus diesem Kontakt ergab sich für Sebastian die seltene Chance, nach Hongkong zu gehen – er nahm sie gerne an.

Organisation: Studentenstatus ist das A und O

"Normalerweise hätte ich als PJ-ler am Prince of Wales Hospital (PowH) für maximal acht Wochen einen Studentenstatus bekommen. Diesen Status brauchte ich aber für ein komplettes Tertial, damit das später in Niedersachsen auch anerkannt wird. In meinem Fall hat man eine andere Lösung gefunden: Ich habe eine Stelle als Forschungsassistent erhalten und wurde dabei als Student geführt. Der Chef der Herzchirurgie am PoWH hat das selbst vorangetrieben. Es war sein Wunsch, einen Studenten aus der Arbeitsgruppe Aortenchirurgie der MHH in sein Team zu holen. Für alle künftigen PJ-ler, die es nach Hongkong zieht: Je nach Lehrkrankenhaus kann es einfacher sein, nur ein Teil-Tertial dort zu machen."

Arbeit: Neue Erfahrungen, uferlose Dokumentation

„Da ich schon relativ viel Ahnung von Herzchirurgie hatte, durfte ich im OP einiges machen. Zum Beispiel habe ich den Ärzten dabei assistiert, den Thorax zu öffnen, das OP-Gebiet zu präparieren, Blutungen zu stillen und die Wunde zu schließen. Einmal durfte ich sogar die Herz-Lungen-Maschine anschließen. In Hongkong wenden Herz- und Gefäßchirurgen die gleichen Verfahren an wie in Europa. Allerdings sind die Erkrankungen der Patienten oft weiter fortgeschritten, weil es keine öffentliche ambulante Versorgung gibt. Ihre Diagnose erhalten viele im Krankenhaus. Manche Patienten haben dann zum Beispiel ein extremes Aneurysma der Aorta mit bis zu zehn Zentimetern Durchmesser.

Es gibt außerdem Erkrankungen, die in Westeuropa quasi ausgestorben sind, zum Beispiel das sogenannte rheumatische Herz, ein Herzklappen-Defekt, ausgelöst durch rheumatisches Fieber nach Streptokokken-Infektionen. Alles ins allem war es eine interessante fachliche Erfahrung. Was mich überrascht hat: Obwohl man in Hongkong die elektronische Patientenakte hat, haben die Ärzte alle Vorgänge noch mehrfach auf Papier dokumentiert. Ich bin nicht dahintergekommen, warum.“
 

Grüner Moloch: Sebastians fotografische Erinnerungen an Hongkong

Kollegen: Freundlich und entspannt

„In deutschen OPs ist der Umgangston schon mal etwas rau. Das Team in Hongkong war immer sehr freundlich und entspannt. Und das trotz langer Arbeitszeiten von zehn bis zwölf Stunden am Tag – dort  ist das ganz normal und sorgt nicht für Frust. In den verschiedenen chirurgischen Abteilungen ging es sehr international zu, mit Austauschstudenten aus Neuseeland, Slowenien, Italien und Kroatien. Im OP und bei der Visite wurde in der Regel Englisch gesprochen. Es kam nur ganz selten vor, dass die Einheimischen einen Witz auf Kantonesisch gemacht haben und ich erst mal nichts verstanden habe. Die Kollegen haben mir das dann aber auch immer übersetzt.“

Finanzen: Teuer wohnen, preiswert essen

„Hongkong ist ein eher teures Pflaster. Für ein Vier-Quadratmeter-Zimmer in einem Studentenwohnheim habe ich im Monat umgerechnet etwa 500 Euro ausgegeben. Man kann in der Stadt auch etwas Günstigeres finden, aber das würde ich nicht empfehlen: Die preiswerten Häuser sind in der Regel nicht klimatisiert und haben keine sicheren Türschlösser; oft muss man sich ein Bad mit bis zu zehn Bewohnern teilen. Am Wohnen sollte man also nicht sparen.

Dafür ist die Verpflegung ziemlich preiswert. In der City kostet das Essen etwa so viel wie bei uns. Etwas außerhalb, wo die Leute weniger Geld haben, bekommt man ein tolles Mittagessen schon für zwei Euro. Es gibt in Hongkong sogar Sternelokale, in denen eine Mahlzeit nur fünf Euro kostet. Insgesamt habe ich im Monat etwa 900 Euro gebraucht. Das habe ich mit einem Studienkredit finanziert. Für ein Promos-Stipendium des DAAD war ich leider zu spät dran: Die Bewerbungsfrist endet an der MHH ein paar Monate vor der Abreise, und mein Studentenstatus war zu diesem Zeitpunkt noch nicht geklärt.“
 

Hohe Lebenserwartung, steigende Gesundheitsausgaben

Hongkong ist Teil der Volksrepublik China, hat allerdings einen Sonderstatus: In der ehemaligen britischen Kolonie gelten bis heute marktwirtschaftliche Prinzipien. Der Lebensstandard ist mit dem in Westeuropa vergleichbar. In keiner anderen Region der Welt werden die Menschen älter: Frauen im Schnitt rund 87 Jahre, Männer 81 Jahre. Gleichzeitig liegt die Geburtenrate nur bei rund 1,2 Kindern je Frau. Die alternde Bevölkerung und steigende medizinische Standards führen dazu, dass die Stadtverwaltung immer mehr Geld ins Gesundheitssystem steckt. Pro Kopf investiert Hongkong jährlich umgerechnet rund 2.600 US-Dollar in die medizinische Versorgung, mehr als dreimal so viel wie 1990, aber nur etwa halb so viel wie Deutschland.
 

Freizeit: Affenhitze und Makaken

„Eigentlich hatte ich eine schlechte Jahreszeit erwischt: Im Sommer ist in Hongkong Monsun. Ich dachte, als Hannoveraner kenne ich mich mit Regen aus, aber das war doch neu: An manchen Tagen kamen daumendicke Tropfen herunter. Dazu eine Affenhitze von bis zu 37 Grad. Wenn es nicht regnet, kann man in und um Hongkong viel unternehmen. Ich war schon drei Jahre davor einmal in der Stadt gewesen, als Tourist. Ein Großteil des Stadtgebiets besteht aus Parks und Wäldern. Wenn man außerhalb der City im Grünen wandert, springen neben einem die Makaken von Baum zu Baum. Von den umliegenden Hügeln aus hat man eine gigantische Aussicht auf Hongkong.“