Bei Joe in der Zahnputzschule

Foto: privat
  • Studium & Lernen
  • 14.02.2019

Vier Studierende, ein Plüsch-Krokodil, eine Mission: Im Sommer reisten Zahnmedizin-Studierende von der Universität Witten/Herdecke als Helfer nach Myanmar. Sie gaben Kindern und Lehrern Mundhygiene-Schulungen und unterstützten einheimische Zahnärzte bei karitativen Einsätzen.

1.500 Zahnbürsten und Hunderte Zahnpasta-Tuben, diverse Instrumente, Füllwerkstoffe und Fluoridlacke: All diese Sachspenden hatten Saskia Beyer, Tom Kovalev, Lisa Sophie Reder und Moritz Staiger für ihre Reise nach Myanmar organisiert. Sie zu verpacken, war ein schweres Stück Arbeit. Am Ende luden die Freiwilligen vier große Rucksäcke und drei XL-Koffer auf das Gepäckband am Flughafen in Frankfurt am Main. Mit in die Kabine nahmen sie noch zwei mobile Behandlungseinheiten, ausgestattet mit Anschlüssen für Bohrer und Sauger, eine Polymerisations-Lampe und ein Ultraschallgerät für die Zahnreinigung. Die beiden speziellen Werkzeugkoffer sind schon einige Male nach Myanmar und zurück gereist. Seit 2008 fliegt jedes Jahr eine kleine Studentengruppe aus Witten dorthin und macht an mehreren Orten im Land Station, wo ihr Wissen gebraucht wird.
 

Das Myanmarteam 2018: Tom Kovalev, Saskia Beyer, Lisa Sophie Reder und Moritz Staiger (von links nach rechts), Foto: Studentisches Myanmarprojekt Universität Witten/Herdecke

Das Myanmarteam 2018: Tom Kovalev, Saskia Beyer, Lisa Sophie Reder und Moritz Staiger (von links nach rechts).
 

Die zahnmedizinische Versorgung in der ehemaligen britischen Kolonie, die auch unter dem alten Namen Burma bekannt ist, wurde lange Zeit vernachlässigt. Über Jahrzehnte regierte in dem Land das Militär mit harter Hand; die einfache Bevölkerung lebt bis heute in Armut. Erst seit einigen Jahren bessert sich die Situation. Das zahnmedizinische Myanmarprojekt der Uni Witten/Herdecke will dazu einen Beitrag leisten. Unter den Studierenden in der klinischen Phase sind die Hilfseinsätze beliebt – es gibt mehr Bewerber als Plätze. „Die ersten sechs Semester unseres Studiums sind sehr aufwändig. Wir haben viel Zeit in Theorie und Praxis investiert. Es ist eine gute Sache, dieses Wissen in einem Land anwenden zu können, wo Menschen Hilfe brauchen“, sagt Tom, der jetzt im 7. Semester studiert.
 

Drei Wochen in Aktion: der Hilfseinsatz in Bildern

Showtime von früh bis spät

Drei Wochen lang waren die deutschen Helfer in doppelter Mission unterwegs: Sie tourten durch Schulen, um Kindern das Zähneputzen nahezubringen. Und sie schlossen sich myanmarischen Zahnärzteteams an, die Gratis-Behandlungen anboten. Als Mundhygiene-Lehrer erlebten Saskia, Tom, Lisa und Moritz unter anderem sechs unvergessliche Tage in der Provinz Bagan. Ein Koordinator der Myanmar Stiftung hatte alles arrangiert. Jedes Jahr stehen verschiedene Dörfer und Schulen auf dem Einsatzplan der Wittener Freiwilligen. Auch dieses Mal hieß es für die Deutschen: Showtime von früh bis spät. Vor Gruppen von je etwa 20 Kindern erklärten sie, warum Zähneputzen wichtig ist und wie es geht. Der eigentliche Hauptdarsteller war das Krokodil Joe, eine Handpuppe mit übergroßem Gebiss, an der die Helfer das richtige Bürsten demonstrierten. „Wir haben uns beim Reden abgewechselt, aber es war trotzdem sehr anstrengend“, gesteht Saskia Beyer. 

Insgesamt schulten die Kommilitonen rund 1.500 Kinder, zudem zahlreiche Lehrer. „Damit erreichen wir langfristig mehr als nur mit Gratis-Behandlungen. Wenn die Kinder sich um ihre Mundhygiene kümmern, bringen sie das später ihrem Nachwuchs bei, und so verändert sich etwas in der Gesellschaft“, betont Tom. Es gehe im Land bereits in die richtige Richtung: „Die Zähne der Kinder waren viel besser, als ich es aus den Berichten früherer Projektteams gehört hatte.“
 

Hilfe für die Helfer

Das Studentische Myanmarprojekt an der Universität Witten/Herdecke startete als Nothilfeaktion nach dem Tropensturm Nargis 2008: Die UN schätzen, dass dabei bis zu 100.000 Menschen starben und rund eine Million obdachlos wurden. Zwei Studierende fuhren damals in das verwüstete Land und versorgten gemeinsam mit einheimischen Zahnärzten zahlreiche Familien. Das Projekt arbeitet seitdem regelmäßig mit dem myanmarischen Gesundheitsministerium, der dortigen Zahnärztekammer und mit der Myanmar Stiftung zusammen. Neben zahlreichen Förderern aus der Dentalbranche unterstützt auch die apoBank-Stiftung die Initiative. 2018 übernahm sie den Großteil der Reisekosten.

Europäer fallen auf

An anderen Tagen hatte Krokodil Joe öfter frei. Die Studierenden assistierten dann den lokalen Zahnmedizinern bei Hilfsaktionen des Gesundheitsministeriums. Neben weiteren Mundhygiene-Demos boten sie kostenlose Behandlungen in städtischen Krankenhäusern und an Schulen an. In der Provinz Shan-State empfingen die Zahnärzte ihre Patienten mit mobilen Behandlungseinheiten in verschiedenen Hotels. „Es gibt sonst im ganzen Land nur eine staatliche Zahnklinik, wo die Behandlung immer gratis ist“, erklärt Tom. Seine Kommilitonen und er profitierten auch fachlich: „Wir wurden eins zu eins betreut, das gab uns Sicherheit“, erinnert sich der Student. „Lehrreich waren unter anderem die Extraktionen, die dort noch häufiger gemacht werden als bei uns.“

Den Freiwilligen wurde vor Ort bewusst, dass ihr Auftreten auch eine psychologische Wirkung hatte. „Das Ministerium hat die Hilfsaktionen extra zeitlich so geplant, dass wir dabei sein konnten“, sagt Saskia. „Europäische Studenten fallen in Myanmar stärker auf und bleiben eher im Gedächtnis als Einheimische oder Helfer aus anderen asiatischen Ländern.“ Offenbar versucht der Staat alles, damit die Botschaft auch wirklich hängen bleibt: Zähneputzen nicht vergessen!
 

Demokratisierung mit dunklen Flecken

Jahrzehntelang wurde das frühere Burma von verschiedenen Militärregimen kontrolliert. Erst seit kurzem verbessert sich die politische und gesellschaftliche Lage. 2012 zog die Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi mit ihrer Partei NLD ins Parlament ein und stellt seit 2015 die Regierung. Der Staat ließ zahlreiche politische Gefangene frei, lockerte die Zensur und ließ Gewerkschaften zu. Internationale Sanktionen wurden aufgehoben, und so verbesserte sich auch die Versorgung im Land: Galt im Jahr 2000 fast jeder zweite Einwohner als unterernährt, waren es 2015 noch rund 17 Prozent. Das Militär hat jedoch weiterhin große Macht und wird von Human Rights Watch schwerer Verbrechen an der Volksgruppe der Rohingyas beschuldigt.