Glück und Zahnlücken

  • Studium & Lernen
  • 20.07.2018

Auf den Cookinseln müssen Zahnärzte mit bescheidenen Mitteln auskommen. Hilfe erhalten sie regelmäßig von ausländischen Studenten. Christina Wingartz und Malwina Rist aus Hannover waren als Famulantinnen dort. Sie durften an Patienten arbeiten wie gestandene Kollegen.

Einen Koffer voller Bestecke, Bohrer und anderer Utensilien packten die Studienfreundinnen, als sie sich im Sommer 2017 für ihr Praktikum auf den Cookinseln bereitmachten (hier findest Du die Story auf ScrubsMag). Von anderen Auslandsstudenten wussten sie: Zahnmedizinisches Werkzeug und Zubehör sind dort knapp. Ein Jahr lang hatten die Studentinnen bei deutschen Herstellern fleißig Sachspenden gesammelt. Doch als sie schließlich auf der Hauptinsel Rarotonga ankamen, hatten sie Pech – der Spendenkoffer blieb eine Woche verschollen.

So mussten die beiden an ihrem ersten Arbeitstag im Medical Center der Hauptstadt Avarua mit dem arbeiten, was da war. „Wir waren etwas geschockt, als wir herumgeführt wurden“, gesteht Christina Wingartz. Es gab zwar ein Röntgengerät und einen Orthopantomographen (OPG). Aber in den Behandlungszimmern funktionierten die Sauger, Wasser- und Luftmodule teilweise nicht; Handstücke und Bestecke wurden zwar sterilisiert, aber vorher nicht gereinigt.
 

Christina Wingartz (im blauen Shirt) und Malwina Rist (lila Shirt) bei einem ihrer Einsätze an Schulen auf Rarotonga.
 

Extrahieren geht über Sanieren

Die Gäste aus Deutschland waren irritiert, mussten sich aber zusammennehmen. Denn die Kollegen ließen sie sofort die ersten Patienten behandeln. „Man hat uns viel zugetraut, das hat uns sehr gefreut“, erklärt Malwina Rist. Die Famulantinnen meisterten die Situation: Wo sie unsicher waren, zeigte ihnen eine Ärztin aus dem Team die Handgriffe noch einmal – zum Beispiel das Zähneziehen. Auf den Cookinseln sind Extraktionen sehr gefragt: Wenn ein Zahn Probleme macht, möchte man ihn am liebsten loswerden. Eine Sanierung wollen sich viele Patienten nicht leisten, denn sie müssen alles aus eigener Tasche zahlen. Zahnersatz ist für die meisten völlig unerschwinglich. Es ist darum ganz normal und kein Makel, beim Lächeln die eine oder andere Lücke zu zeigen.
 

Sehnsuchtsort und Entwicklungsland

Auf den 15 Cookinseln leben knapp 19.000 Menschen. Die Zahl der  jährlichen Besucher liegt um ein Vielfaches höher: 2017 waren es zirka 160.000. Der Tourismus ist der wichtigste Wirtschaftszweig des Landes. Viele Einwohner betreiben außerdem Landwirtschaft und Fischerei. Die OECD stuft die Cookinseln als Entwicklungsland ein: Mit 12.300 US-Dollar pro Kopf haben sie nur etwa ein Viertel der Wirtschaftskraft ihres großen Nachbarn Neuseeland. Jeder vierte Dollar, den der Inselstaat ausgibt, stammt aus internationalen Hilfsgeldern. Nur 4,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts fließen ins Gesundheitswesen; im weltweiten Vergleich belegt das Land damit Rang 158.

Dass viele Insulaner wenig auf das Thema Zahngesundheit geben, sahen die Gaststudentinnen auch bei ihren Einsätzen an Schulen. Ein- bis zweimal wöchentlich fuhren sie mit einem der Zahnärzte ins Umland und behandelten die Kinder dort kostenlos. Unter den Fünfjährigen habe fast jeder Karies, so Christina Wingartz: „Sie essen viel Süßes, und niemand in dem Familien bringt ihnen bei, sich die Zähne regelmäßig zu putzen. Das ist keine Frage des Geldes, sondern der Wertschätzung.“

Bananen vom Wegrand, Bier aus Kokosschalen

Drei Wochen verbrachten die Helferinnen auf Rarotonga. Dann setzten sie über auf die Nebeninsel Aitutaki, die bei Reisenden als Flitterwochenparadies beliebt ist. Dort gibt es nur einen niedergelassenen Zahnarzt. Dem gingen die beiden Deutschen eine Woche lang zur Hand und besuchten mit ihm weitere Schulen. Die letzte Station ihres Praktikums war Atiu, ein winziges Eiland mit etwa 400 Bewohnern in sechs Dörfern. Wer dort ein Zahnproblem hat, kann sich an eine Dental Nurse wenden, die auf der Insel die Stellung hält. „Ihre Praxis war erstaunlich gut ausgestattet und sehr sauber. Allerdings hat das Röntgen nicht funktioniert“, erzählt Malwina Rist. Anders als auf Rarotonga sprachen die meisten Patienten hier Maori und kaum Englisch. „Das war ein bisschen schwierig. Wir haben uns mit Händen und Füßen verständigt“, sagt Christina Wingartz.
 

Feierabend an einer Lagune bei Aitutaki.

 

Manches am Südseeleben war für die Studentinnen ungewohnt – aber vieles auch so paradiesisch, wie man es sich als Europäer vorstellt. Bananen, Papayas, Sternfrüchte und andere Exoten wachsen auf den Cookinseln wie bei uns Hagebutten. Von nahezu jedem Ort sind es nur wenige Minuten Fahrt zu einem der überirdisch schönen Strände, wo die Freundinnen oft ihren Feierabend verbrachten. Auf Atiu machten sie mit Einheimischen eine Tour zu einer Höhle, um eine Vogelart zu beobachten, die sich per Echo-Ortung orientiert und nur hier vorkommt. Einmal nahmen sie an einem abendlichen Tumunu teil, einem Dorfstammtisch, wo die Maori selbstgebrautes Bier aus Kokosschalen trinken. Ihre Erlebnisse haben ihre Sicht auf den Alltag in Deutschland verändert, sagt Christina Wingartz: „Wir haben ein Leben kennengelernt, das sehr entschleunigt ist. Es hat Spaß gemacht, etwas Gutes zu tun und dabei zu erfahren, dass man auch mit wenig glücklich sein kann.“