Wie sollten Ärzte mit transsexuellen Menschen umgehen? Eine Patientin spricht über ihre Erfahrungen

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  • Beruf & Karriere
  • 05.11.2019

Petra M. hat eine Geschlechtsangleichung hinter sich. Auf ihrem Weg hat sie nicht nur gute Erfahrungen mit Ärzten und Therapeuten gemacht. Ihre Geschichte zeigt, wo Heilberufler Fingerspitzengefühl brauchen – und nicht immer alles so genau wissen müssen.

Eigentlich wollte Petra während ihrer Operation ein besonderes Accessoire tragen. „Ich hatte eine kleine Krone auf, wie ein Mädchen am Kindergeburtstag“, erzählt sie. „Leider durfte ich damit nicht in den OP, weil die Krone nicht steril war.“ Als die Patientin sich 2010 für ihre Angleichung das erste Mal unters Messer legte, war sie schon lange kein Kind mehr, sondern 39 Jahre alt. Vier weitere Eingriffe sollten folgen. In mehreren Schritten modellierten die Chirurgen aus ihren männlichen Genitalien weibliche und bauten zusätzlich die Brust auf. Insgesamt 120 Stunden saß Petra außerdem bei einer Kosmetikerin, bis sämtliche Barthaare für immer entfernt waren. All diese Prozeduren waren erst 2014 abgeschlossen.

Heute wünscht sich Petra, dass man sie einfach als Frau sieht. Den Begriff Transgender findet sie nicht passend: „Ich mag es nicht, vereinnahmt zu werden, als Teil einer Gruppe, die anders ist. Für mich war mein früherer Körper fehlgebildet. Das ist er jetzt nicht mehr“, sagt sie. Es hat viele Jahre gedauert, bis sie selbst zu dieser nüchternen Sichtweise gelangt ist. In ihrer Jugend war sie ratlos, was mit ihr nicht stimmte. Die Heranwachsende kaufte sich BHs und Silikon-Einlagen, kleidete sich heimlich als Frau, dachte aber lange Zeit, das sei ein Fetisch: „Damals gab es noch kein Internet. Es war schwierig, sich mit Menschen zu identifizieren, die das Gleiche erleben. Die einzigen Männer in Frauenkleidern, die ich gesehen habe, waren Transvestiten im Fernsehen.“ Mit Mitte zwanzig unternahm Petra einen Versuch, über ihr Anderssein zu sprechen – Verwandte und Freunde reagierten eher verständnislos, zum Teil sogar angewidert.
 

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Selbstporträt mit Krönchen: Petra M. (53) ist gelernte Reiseverkehrskauffrau, lebt in Oberhausen und arbeitet in einem Callcenter. Ihren Blog Hormonmädchen startete sie Mitte der Neunzigerjahre, als das Internet brandneu war – ein Segen für Menschen wie sie, die sonst kaum mit Leidensgenossinnen in Kontakt kamen.

 

Schaulaufen in Unterwäsche

Unschön war auch die erste Begegnung mit einem ärztlichen Therapeuten, an den sich die damals 24-Jährige wandte. Inzwischen hatte sie die Vermutung, transsexuell zu sein. „Dieser Herr sagte, ich soll das Ganze vergessen. Sonst wäre ich ja viel früher auf die Idee gekommen. Das würde sich noch verwachsen“, berichtet die Patientin. „Für mich war das ein Schockerlebnis. Heute weiß ich, dass ich an den Falschen geraten bin.“ Erst Jahre später, nach Gesprächen mit ihrem ersten männlichen Partner, fasste sie Mut für einen neuen Anlauf. 2008 stellte sie sich bei einem Therapeuten vor, der sie ernst nahm und während der folgenden Transition begleitete. Dennoch erschien ihr das übliche Prozedere bizarr: „Bevor die Hormontherapie beginnen konnte, musste ich einen Alltagstest machen. Ich sollte weiblich unter Leute gehen. Was heißt das denn bitte – in Minirock und Stöckelschuhen? Ich fand das sehr klischeebehaftet.“ Die neuesten therapeutischen Leitlinien betrachten solche Alltagstests durchaus kritisch.

Richtig unwohl fühlte sich Petra bei einem anderen Spezialisten. Sie brauchte sein Okay, um ihren Vornamen ändern zu können – was in anderen Ländern wie Chile eine reine Formalie ist, setzt in Deutschland zwei unabhängige Gutachten voraus. „Dieser Arzt war schon ein bisschen transfeindlich. Er ließ mich ohne Erklärung halbnackt im Raum auf und ab gehen. Vielleicht wollte er sehen, ob ich Spuren von Weiblichkeit an mir habe“, sagt sie sarkastisch.

Getrennte Zimmer in der Klinik

Offen diskriminiert habe man sie im Gesundheitswesen jedoch nie. „Ich habe meine Identität ja sehr lange verheimlicht und hatte damals ein gutes Passing“, so ihre Erklärung. Sie entsprach mit ihren 1,88 Meter Körpergröße und ihrer tiefen Stimme dem Idealbild eines Mannes. „Beim Arzt wäre ich mehr aufgefallen, wenn ich von Anfang an femininer gewirkt hätte.“ Als sie das Universitätsklinikum Essen vor ihrer ersten OP aufnahm, wurde sie allerdings von anderen Patienten separiert. „Sie wollten mich nicht mit einer Frau oder einem Mann zusammenlegen. Das hätte die vielleicht irritiert.“ Dass Klinikmitarbeiter hier mit Bedacht vorgingen, fand die Patientin nicht schlimm. Es ging immerhin nicht so weit wie im Fall einer anderen Transsexuellen, über die kürzlich berichtet wurde: Aus Ratlosigkeit brachte man diese Frau auf dem Gang unter.

In Studium und Beruf bereiten sich Mediziner auf solche Situationen in der Regel nicht systematisch vor. Es gibt lediglich lokale Fortbildungsangebote, etwa Workshops des Queerreferats der Berliner Charité. Petra wünscht sich oft einfach nur, dass ihre Ansprechpartner diskreter und sensibler mit ihr umgehen. Beispielsweise nervt es sie, wenn sie bei der Nachsorge an ihre Vergangenheit erinnert wird. „Auf Laborberichten stand lange der Hinweis ,transsexuell‘. Ich habe drei Jahre herumdiskutiert, dass sie darauf verzichten. Das Labor soll einfach nur meinen Hormonspiegel untersuchen.“ Unangenehm sei es für sie auch, sich bei neuen Ärzten vorzustellen. Sie sieht sich häufig gezwungen, über ihre Angleichung zu reden, obwohl das für eine anstehende Mandel- oder Augen-OP gar nicht relevant ist. Etwas weniger Neugier von professioneller Seite wäre ihr recht.
 

Viele Patienten würden nach der Angleichung alleingelassen, trotz des hohen psychischen Drucks,
den der Alltag mit sich bringt, meint Petra M. Foto: privat

 

Das Leben ist nicht einfacher geworden

Seit Mitte der Neunzigerjahre unterhält Petra die Internetseite Hormonmädchen und steht darüber in Kontakt zu anderen Transfrauen, die bei ihr Rat suchen und ihre Nöte teilen. Viele haben beispielsweise Probleme, einen Therapieplatz zu bekommen. Die Bloggerin veröffentlicht Adressen von Ärzten, Psychologen und Operateuren, über die Betroffene Gutes berichten. Ist es auch eine Generationenfrage, wie feinfühlig Ärzte und Therapeuten an ihre Arbeit mit Transpersonen herangehen? „Das sehe ich nicht so“, sagt Petra. „Das hat eher damit zu tun, wie konservativ jemand ist. Aber natürlich ist durch die verstärkte Medienpräsenz der Thematik etwas Bewegung reingekommen.“

Spürbar einfacher sei ihr Leben in den vergangenen Jahren aber nicht geworden. „Wir sind zwar sichtbarer, aber was staatliche Unterstützung angeht, haben wir eher einen Stillstand.“ Zum Beispiel fände Petra es sinnvoll, wenn Transsexuelle nach einer Angleichung weiter psychologisch betreut würden: „Direkt danach ist man noch sehr euphorisch und bricht teilweise voreilig bestehende Therapien ab, doch erst wenn einen der Alltag wieder hat, merken viele, dass man in vielen Bereichen nun dem ,Dazwischen‘ angehört. Jemand wie ich fällt immer auf, man hat einen hohen psychischen Druck. Bei einigen geht das bis zur Depression. Aber viele Probleme soll man durch Selbsthilfe lösen.“ Ihr habe unter anderem das Schreiben geholfen. Irgendwann will Petra M. ihre Geschichte in einem Buch herausbringen. Es wird eher eine Komödie, verspricht sie: „Wenn ich keinen Humor hätte, wäre ich in meinem Leben auch nur schwer klargekommen.“
 

Selbsterfahrung macht sensibler

Dr. Gisela Wolf aus Berlin behandelt in ihrer psychotherapeutischen Praxis häufig Transpersonen. Sie plädiert dafür, Fragen der Geschlechtsidentität in die Medizin- und Psychologie-Curricula aufzunehmen.

Warum sollten sich schon angehende Heilberufler mit Transidentität befassen – betroffen sind ja nur sehr wenige Menschen?

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Gisela Wolf: Statistiken gibt es kaum. Community-Verbände gehen davon aus, dass etwa ein Prozent der Bevölkerung Transpersonen sind, dazu kommen genderqueere Menschen. Was aber gut untersucht ist: Rund 40 Prozent der Transpersonen haben schon Diskriminierung im Gesundheitssystem erlebt. Unabhängig von Zahlen ist das Thema ausbildungsrelevant, weil es um gute Kommunikation mit Patientinnen und Patienten geht.

 

Wenn Ärzte und Therapeuten unsensibel mit Transpersonen umgehen, etwa zu viele Fragen stellen – woran liegt das aus Ihrer Sicht?

Man nennt das unangemessene Neugier, die meistens nicht böse gemeint ist. Aber dabei geht es oft nur um Sensationslust, auch Unwissen und Ängste spielen eine Rolle. Ein Arzt, der zum ersten Mal eine Patientin nach einer genitalmodifizierenden OP vor sich hat, stellt sich das möglicherweise an seinem eigenen Körper vor und löchert die Frau mit Fragen, warum sie das getan hat. Der Versorger ist dann mehr mit sich selbst beschäftigt als mit seinem Gegenüber.

Was hilft dagegen?

Toll wäre, wenn das Erlernen von Fähigkeiten zu einer respektvollen Versorgung Teil der Approbationsordnungen würde. Am besten wäre eine Mischung aus Fachwissen und Selbsterfahrung, wie wir das in unserer Praxisgemeinschaft in Form von Schulungen anbieten. Wir kooperieren dabei mit einer Beratungsstelle für inter- und transgeschlechtliche Menschen.

Ist Selbsterfahrung bei so einer speziellen Frage wie Transidentität für andere Menschen denn möglich?

Es geht ja um Geschlechtsidentität und Rollenbilder im Allgemeinen. Damit hat jeder Mensch zu tun: die Frau, die Männer um ihre Privilegien beneidet. Der junge Mann, der Erzieher werden will. In unseren Schulungen machen wir unter anderem biografische Arbeit. Die Beteiligten lernen dabei, was Selbstbestimmung über Geschlechtlichkeit bedeutet.