SOS! Wie sage ich es nur?

Rettungsring
  • Studium & Lernen
  • 26.07.2018

Es sind Momente, die die meisten Mediziner fürchten. Dennoch sind sie unausweichlich mit dem Job verbunden: Die Mitteilung einer Krebsdiagnose, das Gespräch über einen Therapierückschlag oder das Überbringen einer Todesnachricht gehören zum Alltag von Ärztinnen und Ärzten. Wie bewältigt man diese Aufgabe am besten?  Dr. Christian Lüdtke, Psychotherapeut in Essen, hat sich darauf spezialisiert, Heilberufler und Polizisten im Umgang mit „Breaking Bad News“ zu unterrichten.

Herr Lüdtke,  warum fehlen Medizinern oft die richtigen Worte, um einem Patienten eine folgenschwere Diagnose mitzuteilen?

Obwohl solche Gespräche zu ihrem späteren Tagesgeschäft gehören, bereitet das Studium angehende Ärzte kaum auf diese Situationen vor. Später im beruflichen Alltag ist dann die Zeit viel zu knapp, um sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Ein Stationsarzt betreut täglich dutzende Patienten, auch die niedergelassenen Ärzte haben im Durchschnitt für einen Patienten nur acht Minuten Zeit. Es ist daher keine Seltenheit, dass den Patienten lebensverändernde Diagnosen einfach zwischen Tür und Angel mitgeteilt werden.

Müssen schon Assistenzärzte die üblen Nachrichten übermitteln oder übernehmen das in der Regel erfahrene Kollegen?

Im hektischen Krankenhausalltag kommt es immer wieder vor, dass Assistenzärzte vom Chefarzt aufgefordert werden, die Diagnose an den Patienten weiterzugeben. Die meisten von ihnen fühlen sich damit komplett überfordert. Für einen jungen Assistenzarzt ist das eine unglaubliche Belastung.
 

Dr. Christian Lüdtke schult Heilberufler und Polizisten im Umgang mit "breaking bad news".

 

Wie kann man sich schon im Studium auf solche Situationen vorbereiten?

Die Übermittlung schwerwiegender Diagnosen war einmal ein fester Bestandteil in der Ausbildung junger Ärzte. 'Ärztliche Kommunikation‘ nannte sich das, aber das Fach wurde vor einigen Jahren leider wieder vom Lehrplan der Universitäten gestrichen. Viele Hochschulen sind aber dazu übergangen, solche Angebote zum Beispiel in Kooperation mit Psychologen wieder verstärkt zu entwickeln. Wo es keine entsprechenden Seminare gibt, sollten Studierende selbst aktiv werden und sich in Lerngruppen zusammenschließen. Rollenspiele sind zum Beispiel eine gute Möglichkeit, sich frühzeitig mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Wie wirken bestimmte Worte und Gesten? Das lässt sich mit diesen Übungen gut testen und es hilft, im Ernstfall die Nerven zu behalten und sich nicht vor den eigenen Reaktionen zu erschrecken.

Kann man denn voraussehen, wie Patienten auf lebensverändernde Diagnosen reagieren?

Nein, das ist sehr individuell. Manche Patienten sind geschockt oder brechen weinend zusammen. Andere wiederum sind sehr gefasst oder reagieren aggressiv. Und dann gibt es Patienten, die sofort ganz viele Fragen stellen und wissen möchten, wie lange sie noch zu leben haben. Lebensverändernd sind übrigens nicht nur Nachrichten von schweren oder unheilbaren Erkrankungen. Wenn ein Arzt einem Profisportler erklären muss, dass er seinen Sport nicht mehr ausüben darf, dann bricht in diesem Moment eine Welt für den Patienten zusammen. Was eine schlechte Nachricht ist, bestimmt letztendlich immer der Empfänger und nicht der Überbringer.

Gibt es denn Grundregeln, die man unbedingt beherzigen sollte?

Es ist keine besondere Kommunikationstechnik, die man beherrschen muss. Es kommt vielmehr auf die persönliche Haltung zum Gegenüber an. Man muss den Patienten mit Wertschätzung und Respekt zu begegnen. Ein wichtiger Grundsatz lautet dabei: Sag die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, aber niemals die ganze Wahrheit! Man sollte einen Patienten also soweit aufklären, wie es dieser in der momentanen Gesprächssituation verkraften kann. Es bringt überhaupt nichts, ihn mit allen Fakten zu überrollen. Viele sind im Erstgespräch so schockiert, dass sie danach gar nicht mehr genau wissen, was der Arzt ihnen eigentlich erzählt hat.
 

Guten Tag, mein Name ist Hiob

In dem Buch „Guten Tag, mein Name ist Hiob“ geben Dr. Christian Lüdke und Prof. Dr. med. Christian Perings auf Basis zahlreicher Fallbeispiele praktische Tipps dazu, wie Ärzte üble Nachrichten am besten übermitteln sollten. Wer lieber interaktiv lernt, kann auch eine Online-Praxisschulung der beiden Experten nutzen.

Was heißt das konkret, wie startet man zum Beispiel in so ein Gespräch?

Auf keinen Fall  mit leeren Phrasen. Gleich zu Beginn muss deutlich werden, dass man etwas sehr Ernstes mit dem Patienten besprechen möchte. Die Mitteilung der Diagnose sollte ohne große Umschweife, kurz und präzise erfolgen. Anschließend gibt der Arzt dem Patienten Zeit, auf das Gesagte zu reagieren. Wichtig dabei ist es, den Blickkontakt zu halten. Manchmal hilft es auch, jemandem eine Hand auf die Schulter zu legen – das vermittelt Trost und Halt. Viele Patienten haben Fragen zu ihrer Erkrankung, die man in Ruhe beantworten sollte. Wichtig ist es außerdem, konkrete Perspektiven aufzuzeigen. Zum Beispiel, indem man die der nächsten Behandlungsschritte erklärt oder auf spezielle Hilfsangebote hinweist, wie etwa psychoonkologische Beratungen.

Wie schafft man es auf Dauer, sich schwere Schicksale nicht zu sehr zu Herzen zu nehmen?

Egal, wie lange man bereits in der medizinischen Versorgung tätig ist – die Schicksale der Patienten lassen sich nicht einfach abschütteln. Viele Krankengeschichten berühren einen und gehen buchstäblich unter die Haut. Das ist vor allem dann der Fall, wenn man persönlich innerhalb der Familie belastet ist, wenn zum Beispiel der eigene Vater an Krebs erkrankt ist. Deshalb braucht jeder einen Ausgleich. Sport treiben, Bücher lesen, mit dem Hund spazieren gehen, Freunde treffen, all diese Dinge, die einem Spaß und Freude bereiten sorgen dafür, die Belastungen des Arbeitsalltags besser zu meistern. Eine enorme Stütze ist eine stabile Vertrauensperson, die nicht weinend vom Stuhl fällt, wenn man ihr ein trauriges Erlebnis aus dem Berufsalltag schildert. Stattdessen sollte sie das mit aushalten können und Hoffnung und Zuversicht vermitteln.