Auf der Suche nach dem Glück

Medizinstudenten in Witten/Herdecke
  • Beruf & Karriere
  • 09.03.2018

Was macht Heilberufler glücklich und zufrieden? Tobias Esch, selbst Mediziner und Professor an der Universität Witten/Herdecke, sucht nach Antworten auf diese Frage. Ein Interview zu den schlimmsten Frustquellen, den schönsten Augenblicken im Ärzteleben – und der Kunst, schon im Studium die richtige Balance zu lernen.

Herr Professor Esch, gibt es so etwas wie eine Ärzte-Persönlichkeit?

Ja, die scheint es durchaus zu geben. Viele spätere Ärzte haben schon im Studium einen sehr hohen Anspruch an sich selbst. Nach dem Motto: „Wenn ich das nicht löse, wer soll es sonst tun?“ Die moderne Medizin ist durchaus von Allmachtsphantasien geprägt. Der Gedanke, dass manchmal die Zeit mehr zur Heilung beiträgt als eine OP oder ein Medikament, ist da noch oft fremd. Spätestens nach der Vorklinik merken viele Kollegen dann, dass es bisweilen ordentliche Widersprüche gibt zwischen ihrem Anspruch und der erlebten Wirklichkeit. Zugleich spielt der Umgang mit den eigenen Emotionen dazu nur eine untergeordnete Rolle im herkömmlichen Studium. Wer das nicht lernt, riskiert auf die Dauer aber möglicherweise einen Burn-out oder Schlimmeres.

 

Tobias Esch


Ihre Universität ist ja bekannt dafür, etwas andere Wege in der Mediziner-Ausbildung zu gehen…

Stimmt, wir gehen die Ausbildung ganzheitlicher an als sonst oft üblich. Die Verbindung von Körper und Seele spielt eine große Rolle bei uns, wir versuchen beispielsweise zu vermitteln, wie wichtig Achtsamkeit ist. Deshalb gibt es zum Beispiel auch einen Raum der Stille, in den unsere Studenten sich zurückziehen können. Wir arbeiten viel in Kleingruppen, fördern studentische Communities und bieten ein Studium fundamentale an, das alle Studentengruppen zum Blick über den eigenen Tellerrand animieren soll. Das alles fördert auch eine ganzheitliche Sicht der Dinge.

 


Bekommen Ihre Studenten dann nicht einen Schock, wenn Sie später im Berufsleben landen?

Um das abzufedern, planen wir aktuell zum Beispiel Veranstaltungen wie „100 Tage Arzt“, in denen die Teilnehmer über ihren Start in den Job reflektieren können. Und wir konzipieren gerade auch eine Hochschulambulanz zur integrativen, multidisziplinären Versorgung: Da arbeiten dann alle Gesundheitsprofis unter einem Dach, idealerweise vom Apotheker bis zum nicht-ärztlichen Praxisassistenten. Meines Erachtens hat dieses Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Professionen einen großen Einfluss darauf, wie zufrieden auch Mediziner im Alltag mit ihrem Beruf sind.  Das sehen wir uns in einem anderen Forschungsprojekt gerade ebenfalls genauer an. Wir Menschen brauchen Beziehungen – sie können uns ebenso glücklich machen wie uns das Leben vermiesen, das belegt die Neurowissenschaft sehr eindeutig.

Das gilt wahrscheinlich auch für die Beziehungen zu Patienten, oder?

Natürlich. Gute Beziehungen zu ihren Patienten sind für Ärzte ein enormer Quell der Zufriedenheit, das lässt sich empirisch nachweisen. Zum Glück lässt sich die Fähigkeit trainieren, diese Beziehungen zu gestalten. Entscheidend ist wohl, dass es gelingt, empathisch zu sein und zugleich bei sich selbst zu bleiben, sich also abgrenzen zu können.

Wenn gute Beziehungen zufrieden machen, was macht Heilberufler dann unzufrieden?

Bei Niedergelassenen ist es oft das Gefühl, im heutigen Gesundheitssystem quasi keine Kontrolle zu haben, über die eigenen Einnahmen oder die administrativen Prozesse beispielsweise. Apotheker leiden manchmal darunter, dass sie im Alltag wenig Gestaltungsmacht haben und der Arzt die Hoheit über die Medikation hat.  Alle Berufe im Gesundheitswesen klagen über den enormen Dokumentations- und Bürokratieaufwand. Allerdings sieht der Trend gar nicht so schlecht aus: Die deutschen Mediziner sind insgesamt recht zufrieden, auch in den Kliniken, wo die Hierarchien langsam deutlich flacher werden. In den USA, wo ich lange geforscht habe, ist das anders: Dort sind Ärzte viel stärker Dienstleister, an die Patienten enorme Ansprüche haben. Es wird erwartet, dass sie quasi auch in der Freizeit permanent zur Verfügung stehen. Das stresst enorm.

Nehmen wir an, Sie könnten alleine entscheiden: Wie sähe ein Gesundheitssystem im Jahr 2050 aus, mit dem alle glücklich sind?

Schwierige Frage! Es wäre jedenfalls ein System, in dem wir alle uns auch als Menschen auf Augenhöhe begegnen können. Ein System, in dem Patienten sich mehr zutrauen und sich auch Ärzte als Lernende begreifen – und indem Emotionen nicht weniger gelten als nüchterne Fakten. Gesundheit darf auch Freude machen.