Von Feuertaufen und jungen Königen

  • Studium & Lernen
  • 13.11.2017

Wer Medizin studiert, gehört zu einer besonderen Spezies. Das zeigen auch die Beiträge, die viele angehende Ärzte bei unserem Gewinnspiel "Dein bester Moment" eingereicht haben. Schon der hohe Numerus Clausus sorgt dafür, dass viele besonders disziplinierte und leistungsbereite Charaktere an den Fakultäten vertreten sind. Gepaart mit einer oft ausgeprägten Identifikation mit dem Fach führt das dazu, dass angehende Ärzte manches anders erleben als ihre Kommilitonen in anderen Studiengängen.

Dr. med. Thomas Kötter will dazu beitragen, dass die Mediziner in spe auch in stressigen Zeiten gesund und munter bleiben: Er leitet die Arbeitsgruppe Studierendengesundheit am Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Universität zu Lübeck. Warum männliche Medizinstudenten sich oft wohler fühlen an der Uni, welche Rolle Rituale für die Seele spielen – im Interview gibt Kötter Auskunft.

Herr Dr. Kötter, sind Medizinstudenten wirklich so ganz anders als ihre Kommilitonen?

In unseren Studien haben wir schon ein paar auffällige Merkmale festgestellt. Wer Medizin studiert, hat oft schon spätestens ab der 10. Klasse Vollgas in der Schule gegeben, um Bestnoten zu erzielen. Viele kommen auch aus Elternhäusern, die sehr leistungsorientiert sind und stellen hohe Ansprüche an sich selbst. Aufgeben kommt dann nicht in Frage, Zähne zusammenbeißen und durch ist oft die Devise. Es kann auch durchaus belastend sein, wenn man an der Uni plötzlich nur einer oder eine von mehreren hunderten High Performern ist. Kommen dann das immense Lernpensum dazu und erste Erfahrungen mit Themen wie Krankheit und Tod, sinken bei vielen das Wohlbefinden und die Widerstandsfähigkeit gegenüber Stress.  

Aber die Studenten bringen doch sicher auch Kompetenzen mit, die ihnen Kraft geben im Studium?

Natürlich. Viele sind zum Beispiel sozial engagiert. Ich bin immer ganz beeindruckt, wenn ich in den Auswahlgesprächen von den Projekten höre, in denen manche sich vor dem Studium eingebracht haben. Für sie ist die Medizin kein bloßes Mittel zum Geldverdienen, sie identifizieren sich stark mit der helfenden Rolle eines Arztes. Bis zu einem gewissen Grad schützt das, aber manchmal kippt das Ganze eben doch in Selbstüberforderung um. Viele sind auch sehr gesundheitsbewusst, treiben Sport oder spielen ein Instrument. Wenn sie starten, sind Medizinstudenten im Schnitt tatsächlich fitter als etwa Studierende in den MINT-Fächern. Aber in manchen Phasen des Studiums kommen sie einfach nicht mehr zu solchen sinnvollen Hobbies.

In welchen Phasen?

Vor allem in der Vorbereitung aufs Physikum. Das sehen wir in unseren Befragungen sehr genau: In den ersten zwei Studienjahren ist das Arbeitsengagement hoch, aber die Widerstandsfähigkeit und damit die Lebenszufriedenheit sinken signifikant im Laufe der Vorklinik. Wer lernt, zum Beispiel Methoden wie die Progressive Muskelentspannung regelmäßig zu nutzen, kommt besser zurecht. Auch Kurzzeit-Coachings sind hilfreich. Dafür haben wir in unseren Studien hier in Lübeck jedenfalls ermutigende Hinweise gefunden.

Gibt es eigentlich Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen, je nach Fachrichtung etwa oder nach Geschlecht?

Wie es den jeweiligen Facharzt-Gruppen später geht, konnten wir hier bislang nicht erheben. Aber es gibt Hinweise aus wissenschaftlichen Studien, dass psychosozial belastete Studierende später weniger wahrscheinlich eine Laufbahn in Fächern wie Allgemeinmedizin, Psychiatrie oder auch Pädiatrie anstreben, in denen man den Menschen besonders nah kommt. Und bei den Geschlechtern gibt es tatsächlich Unterschiede: 75 Prozent unserer Studienanfänger sind weiblich, da ist die Konkurrenz untereinander teilweise groß. Junge Männer, die den hohen NC geschafft haben, genießen dagegen eher ihren Minderheitenstatus und fühlen sich manchmal schon zu Beginn des Studiums wie die Könige.   

Wie sieht es mit den positiven Momenten im Studium aus, welche stechen da besonders hervor?

Ist das Physikum bestanden, löst das bei vielen große Euphorie aus. Die erfolgreichen Studenten haben dann das Gefühl, eine Art Feuertaufe bestanden zu haben. Einige gehen nach einem so intensiven Stresserlebnis aber auch in eine Art Schon-Modus und springen danach nicht mehr höher, als sie müssen. Im Prinzip ist es gut, dass sie lernen, sich ein bisschen zu distanzieren vom Leistungsanspruch – aber manche fallen dann eben ins andere Extrem und drosseln ihr Arbeitsengagement auf ein notwendiges Minimum. Den Übergang in die Klinik empfinden viele angehende Mediziner jedoch auch als sehr motivierenden Moment, weil sie ihr Wissen endlich am Patienten einsetzen dürfen.
 

Hippokrates weitergedacht

Ärzte sind nicht nur ihren Patienten, sondern auch der eigenen Gesundheit verpflichtet: Das steht seit diesem Jahr sogar in der Genfer Deklaration des Weltärztebundes. Sie soll nach dem Willen der internationalen Ärzteschaft eine zeitgemäße Version des Eids des Hippokrates darstellen. Die erste Fassung der Deklaration von 1948 ist immer wieder aktualisiert worden. Seit Oktober 2017 betont sie noch stärker als bislang die Autonomie der Patienten - und die Pflicht, fürsorglich mit den eigenen Ressourcen umzugehen: "Ich werde auf meine eigene Gesundheit, mein Wohlbefinden und meine Fähigkeiten achten, um auf höchstem Niveau zu behandeln", lautet die neu eingefügte Formulierung. Die Genfer Deklaration ist auch in der Berufsordnung für die deutschen Ärzte enthalten und deren Präambel vorangestellt.

Wobei Sie in den Krankenhäusern sicher auch oft sehen, wie stressig der Arztberuf in der Praxis sein kann…

Das stimmt. Problematisch ist vor allem, wenn Studierende dann auf Station in Kontakt mit Kollegen kommen, die eher ungesunde Mechanismen der Stressverarbeitung haben und zum Beispiel selbst mit heftiger Erkältung noch zur Arbeit kommen. Das schreckt viele gewaltig ab. Mit unserem Wahlfach „Gesundheit und Wohlbefinden für Medizinstudenten und Ärzte“ versuchen wir den Nachwuchs deshalb schon im Studium darauf vorzubereiten, wie sie konstruktiver mit den Belastungen im Mediziner-Alltag umgehen können.

Welche Rolle spielen eigentlich Rituale im Studium, fördern sie zum Beispiel Gemeinschaftserlebnisse der Studenten?

Rituale geben Struktur, deshalb helfen sie dabei, Stress besser zu bewältigen. Bei uns gibt es zum Beispiel immer wieder gemeinsame festliche Veranstaltungen in einer Altstadtkirche, das kommt gut an. Auch aktive Mentorengruppen bewähren sich, weil die Studierenden erleben, dass sie nicht alleine sind mit vielen ihrer Fragen und man sich gegenseitig helfen kann. Viele Gemeinschaftsaktionen organisieren sie ohnehin lieber selbst, zum Beispiel die Stadtrallye für die Erstsemester. Manchmal geht´s da zwar ziemlich wild zu in Sachen Alkohol – aber so lange das langfristig nicht zu problematischen Trinkgewohnheiten führt, gehört das eben dazu.

 

Was sind für dich die besten Momente im Studium? Bis zum 8. Dezember hast du noch die Chance, an unserem Gewinnspiel "Dein bester Moment" teilzunehmen und 5.000 Euro zu gewinnen. Auch angehende Zahnmediziner, Veterinäre und Psychologen sind herzlich eingeladen, ihre persönlichen Highlights aus dem Studium zu posten.