Schluss mit dem Numerus clausus?

Justitia
  • Studium & Lernen
  • 18.12.2017

Auf einen Medizinstudienplatz an deutschen Hochschulen kommen im Schnitt fünf Bewerber. Wer keine 1,0 auf dem Abizeugnis vorweisen kann, muss oft jahrelang auf eine Zulassung warten. Ist das gerecht? In den Medien wird das Thema heiß diskutiert. Morgen entscheidet das Bundesverfassungsgericht, ob das Verfahren geändert werden muss (Update vom 19.12.2017: Das Gericht hat den Numerus Clausus für Medizin für teilweise verfassungswidrig erklärt. Die Studienplatzvergabe muss in Zukunft anders geregelt werden).

Wir haben Studierende vor der Entscheidung gefragt, was sie vom Numerus Clausus halten. Die Meinungen gehen auseinander.

Pauline Röhrig, medizinische Hilfskraft an der Uni-Klinik Göttingen:
„Mit meinem guten Zweierschnitt hatte ich über den NC kaum eine Chance auf einen Medizinstudienplatz. Deshalb habe ich mich per Losverfahren auf Studiengänge beworben, die einen Quereinstieg ermöglichen. Ich habe ein Pharmaziestudium begonnen und später einen Teilstudienplatz in Humanmedizin an der Uni Göttingen bekommen. Jetzt habe ich das Physikum in der Tasche, muss mich aber wieder an einzelnen Unis für die klinische Ausbildung bewerben. Seit einem Jahr warte ich jetzt darauf, dass es weitergeht. Das alles ist sehr kompliziert und frustrierend. Viele gute Leute bleiben auf der Strecke. Umgekehrt habe ich erlebt, dass manche Einserschüler mit dem Stress im Medizinstudium schwer klarkommen. Die Hochschulen sollten mehr Wert auf die Motivation der Bewerber legen. Vielleicht wäre es ein Weg, erst einmal mehr Studenten aufzunehmen und dann strenger auszusieben. Es gibt Kommilitonen, die es sich bequem machen und Studienplätze für motivierte Bewerber blockieren.“

 

Hanno Brinkema, Student der Humanmedizin im 7. Semester an der Universität Magdeburg
„Den NC finde ich tendenziell gut. Bei so vielen Bewerbern brauchen die Unis einen einfachen Indikator dafür, wer sich fürs Medizinstudium eignet. Aber sie schauen ja auch nicht nur auf die Noten. Ich selbst wäre nicht über den NC an die Uni gekommen. Mir war schon mit dreizehn klar, dass ich Arzt werden möchte. Meine Noten waren immer gut, aber mit einem glatten Einser-Abi konnte ich nicht rechnen. Also habe ich Bio und Chemie als Leistungskurse belegt, den Medizinertest gemacht und mich für den HAM-Nat beworben. Das ist eine naturwissenschaftliche Aufnahmeprüfung, die einige Unis anbieten. In Magdeburg hat das geklappt. Und selbst wenn ich länger hätte warten müssen: Dann hätte ich eben weitere Punkte gesammelt, um meine Chancen zu verbessern, zum Beispiel mit einem Freiwilligen Sozialen Jahr. Ich finde, die Diskussion um den NC wird zu sehr gehypt. Es gibt eine Vielfalt von Auswahlverfahren. Einige kritisieren das als unübersichtlich, aber ich sehe darin eine Chance, sich seinen Stärken entsprechend zu bewerben. Wer entschlossen ist, sollte sich nicht abschrecken lassen, sondern den Weg heraussuchen, der am besten zu ihm passt.“

 

Jasmin Hensel, derzeit im PJ an der Berliner Charité
„Ich finde, man sollte sinnvolle, einheitliche Zusatzkriterien neben dem Notenschnitt einführen. Das macht im Moment jede Uni ein bisschen anders. Klar gibt es den Medizinertest, den HAM-Nat und so weiter. Diese Tests haben aber meiner Meinung nach wenig mit dem Arztberuf zu tun. Praxiserfahrung ist viel wichtiger. Wenn 18-jährige Einserschüler zu studieren beginnen, haben sie oft keine Ahnung, welche Tragweite der Arztberuf hat. Als ich mich an der Charité beworben habe, wusste ich ganz gut, was mich erwartet. Ich hatte Berufserfahrung als Arzthelferin. Für die Zulassung spielte das aber keine Rolle. Es wäre viel besser, wenn jeder Bewerber zumindest ein Praktikum vorweisen müsste.“

 

Carla Böhm, Zahnmedizin-Studentin an der Universität Freiburg
„Zwölf Semester habe ich auf einen Studienplatz warten müssen. Diese Zeit habe ich so gut wie möglich genutzt. Ich war als Au-pair im Ausland, habe eine Ausbildung zur Zahntechnikerin gemacht und einige Zeit gearbeitet. Trotzdem habe ich mich jedes Jahr total geärgert, wenn es mit dem Studienplatz wieder nicht geklappt hat. Ich verstehe ja, dass der Notenschnitt für die Unis eine wichtige Rolle spielt. Aber der Staat sollte grundsätzlich mehr Medizinstudienplätze schaffen. Und bei der Entscheidung, wer diese Plätze bekommt, sollten andere Kriterien mehr Gewicht haben, vor allem Sozialkompetenz. Es gibt zum Beispiel für Bewerber auf Lehramtsstudien an der Uni Ulm einen freiwilligen psychologischen Test. So etwas könnte ich mir für Mediziner auch vorstellen.“