Ausbildung statt Ausbeutung

Flashmob der Medizinstudierenden am 16. Januar in Köln (Foto: Fachschaft Medizin Köln)
  • Studium & Lernen
  • 16.01.2019

Sie hat jede Menge gelernt in ihrem letzten Tertial auf der Chirurgie in einer großen deutschen Uniklinik. „Kopieren und Faxen, Ausweichen im OP und Akten sortieren“, schreibt Luisa auf Facebook. „Nach zehn Fachsemestern Humanmedizin, einer abgeschlossenen Promotion und bereits zwei abgelegten PJ-Tertialen freue ich mich jeden Morgen, wenn der Wecker um 05.50 Uhr klingelt, diese Fähigkeiten weiter ausbauen zu dürfen.“ Luisa ist eher der Regel- als der Ausnahmefall: Das Web ist voll von enttäuschten PJler-Kommentaren. Angehende Ärzte klagen über ausfallende Studientage, permanente Überstunden, öde Hilfs-Tätigkeiten und null Wertschätzung. Wie Luisa bekommen viele nicht einmal eine Aufwandsentschädigung, gehen nach einem vollen Arbeitstag noch Kellnern, um überhaupt ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.
 

Danke für Nichts! bvmd und Medimeisterschaften haben eigens ein Video für den Aktionstag produziert.
 

Ein Viertel bekommt null Euro

"Es überrascht nicht, dass viele Studierende ihr PJ-Tertial weniger nach Lehrqualität wählen, sondern eher auf die Vereinbarkeit mit einem nötigen Nebenjob achten.", sagt Oscar Zimmermann von der Fachschaft Humanmedizin in Köln. 400 Euro, schreiben die Fachschaftler in einem Positionspapier, erhalten PJler in den Lehrkrankenhäusern der Kölner in der Regel. Damit sind sie sogar noch vergleichsweise gut dran. Laut einer aktuellen Umfrage der Bundesvereinigung der Medizinstudierenden (bvmd) bekommt ein Viertel aller PJler in Deutschland gar kein Entgeld, über die Hälfte muss sich mit maximal 400 Euro begnügen. Schon seit 2013 fordert die bvmd deshalb, die Vergütung auf den BAföG-Höchstsatz anzuheben. In der aktuellen OnlinePetition für ein faires PJ im Medizinstudium geht es den Studentenvertretern aber noch um weit mehr:

Quelle: bvmd

 

Weit über 40.000 Menschen haben bereits unterschrieben, nur knapp die Hälfte davon als derzeit selbst Betroffene. Beim Aktionstag zur Petition am 16. Januar 2019 sind tausende Medizinstudenten aus ganz Deutschland am Start: Oscar Zimmermann und seine Mitstreiter in Köln etwa haben einen Flashmob im Bettenhaus der Uniklinik auf die Beine gestellt, gut 400 Teilnehmer waren mit von der Partie. "Das Echo hier ist ziemlich gut, allein übere unsere Facebook-Seite erreichen wir unglaublich viele Menschen", so Oscar. „Da sind auch sehr viele Studienanfänger dabei, die dann fragen, ob wir die Forderungen wohl durchbekommen, bis sie ihr PJ beginnen.“ In München, der Stadt mit den meisten Medizinstudenten, haben die beiden Humanmedizin-Fachschaften von Ludwig-Maximilian (LMU)- und Technischer Universität zusammen mit dem örtlichen Medimeisterschaften-Team eine Großdemo organisiert.  Hunderte Studierende und junge Ärzte zogen vom Klinikum rechts der Isar über den Bayerischen Landtag bis zur LMU.
 

Auch das Aktionslogo für die Kampagne ist ein Gemeinschaftswerk von bvmd und Medimeisterschaften.
 

Für ein Tertial in die Schweiz?

Melanie Weber, in der Medizin-Fachschaft der TU engagiert, kennt die Not vieler Kommilitonen: „In den Münchner Uni-Kliniken gibt es genau null Euro für das PJ“, sagt sie. „Ausgerechnet in der teuersten Stadt Deutschlands.“ Wer einen Nebenjob braucht, um die Zeit zu finanzieren, erscheint oft chronisch erschöpft zum PJ-Dienst, „was natürlich auch das Patientenwohl gefährden kann“, so Melanie. Andere weichen auf Kliniken im weiteren Umland aus – oder verschulden sich. Melanie selbst hat durchs ganze Studium hindurch im Schnitt einen Tag wöchentlich nebenher gearbeitet, um Phasen wie Famulaturen und PJ finanzieren zu können. Erst als Hakenhalterin im OP, später als studentische Hilfskraft in der neurologischen Forschung. Vor kurzem erst hat sie den Job gekündigt, weil ihr erstes PJ-Tertial und im April das Examen anstehen. Zwei Tertiale wird Melanie voraussichtlich in München absolvieren, für das dritte zieht sie um: „Ich gehe dafür in die Schweiz – dort kann ich vom PJler-Gehalt die Miete finanzieren und es bleibst sogar noch etwas zum Leben übrig.“          
 

Die Münchner haben jede Menge Protestplakate für ihre Demo gebastelt.
 

Fest eingeplanter Platz für die Lehre

Eine Lösung für alle, die ihr PJ nicht von wohlhabenden Eltern finanziert bekommen? Gesundheitsminister Jens Spahn hat schon eine Diskussion darüber angeregt, ob man die Regelungen für die Abwerbung bestimmter Fachleute neu gestalten sollte, um Ärzte in Deutschland zu halten. Angehende Mediziner wie Oscar Zimmermann in Köln und Melanie Weber in München sind davon wenig begeistert. „Wir brauchen eine einheitliche, möglichst bundesweit gleiche Entlohnung fürs PJ“, sagt Oscar, „sonst könnten Krankenhäuser sich ja quasi mit einer hohen Vergütung von guter Lehre freikaufen – und damit wäre weder uns noch den Patienten geholfen.“ Laut Melanie würde das auch dazu beitragen, bereits im PJ vielversprechende Kontakte zwischen Jung-Medizinern und händeringend nach Personal suchenden Kliniken zu knüpfen. „Es ist ja für alle besser, wenn man später in einem Haus anfängt, das man schon einmal vier Monate lang kennen gelernt hat“.

Wobei, wie sie sagt, ihr das Geld nicht einmal das Wichtigste ist. Melanie hat sogar Verständnis dafür, dass viele Krankenhäuser Angst vor den Mehrkosten haben, die ein bezahltes PJ bedeuten würde. „Genau deshalb wäre es ja auch so wichtig, dass man dafür eine übergreifende Lösung findet.“ Hätte die Lehre endlich einen fest eingeplanten Platz in im Klinikalltag, würden ihrer Meinung nach auch die schon angestellten Ärzte profitieren: „Sie wollen uns ja etwas beibringen, haben in dem Stress auf Station aber oft einfach keine Zeit dafür.“ Medizinstudenten, sagen Oscar wie Melanie, sind motiviert, sie wollen etwas mitnehmen aus dem Praktischen Jahr, wirklich etwas lernen. Und auch jetzt gebe es durchaus Kliniken, in denen genau das ordentlich funktioniert. „Aber es kann doch nicht sein“, meint Melanie, „dass es pure Glückssache ist, wie sehr man vom PJ profitiert!“