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Die Bioinformatiker Julius und Thore erklären, was mit Künstlicher Intelligenz möglich ist.

  • Studium & Lernen
  • 06.09.2019

Künstliche Intelligenz und Big Data könnten in Zukunft bessere Therapien ermöglichen. Die Bioinformatik-Studenten Julius und Thore forschen auf diesem Gebiet. Aus ihrer Sicht gibt es weder Grund zur Euphorie noch zur Sorge: Erst müssen die neuen Softwarelösungen praxistauglich werden – und sie werden Ärzte so schnell nicht ersetzen.

„Digitale Gesundheit ist ein Megatrend. Für mich war immer klar: Ich möchte daran mitwirken.“ So enthusiastisch hört es sich an, wenn Thore Bürgel über sein Studium spricht. Zurzeit sitzt der 24-Jährige an seiner Masterarbeit in der Gruppe Health Data Science des Universitätsklinikums Heidelberg. Davor hat er bereits den Bachelor in Molekularer Biotechnologie am Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie (IPMB) absolviert, ein Fach, das neben Biochemie auch Bioinformatik umfasst. Unter seinen Forscherkollegen sind auch einige ausgebildete Pharmazeuten und Ärzte, die sich auf neue digitale Werkzeuge spezialisieren. Im Zweig Bioinformatik beschäftigen sie sich unter anderem mit Künstlicher Intelligenz (KI) und Big Data – Tools und Verfahren, von denen sich die Fachwelt viel verspricht: Komplexe Erkrankungen, bei denen zahlreiche Faktoren eine Rolle spielen, soll man damit besser erklären und somit auch gezielter behandeln können. Davon könnten etwa Patienten mit einer Krebs- oder Herz-Kreislauferkrankung künftig profitieren.


Thore Bürgel (24) schließt im Sommer sein Studium der Molekularen Biotechnologie an der Universität Heidelberg mit dem Master ab und setzt seine Studien ab Herbst als Doktorand am Berliner Institut für Gesundheitsforschung der Charité fort. 2018 hat er als Gaststudent drei Monate an der Stanford University in den USA zum Einsatz von Wearables im Gesundheitswesen geforscht und wirkt an dem Projekt weiterhin mit. Foto: privat
 

Mit neuen klinischen Verfahren hat Thores Anschlussarbeit allerdings noch wenig zu tun. „Es ist eher Grundlagenforschung“, sagt der Student, der im Anschluss promovieren möchte. Er hat einen Algorithmus entwickelt, der das Sterberisiko auf Intensivstationen berechnet. Zugrunde liegen Informationen aus Patientenakten über Medikation, Atem- und Herzfrequenz, Blutdruck und weitere Messwerte. „Es gibt auch andere digitale Werkzeuge, die diese Aufgabe erfüllen. Neu ist, dass wir dafür ein lernendes neuronales Netz verwenden. Diese Software analysiert große Mengen an unstrukturierten Daten und erkennt darin möglicherweise noch unbekannte Muster“, erklärt Thore. Nicht der Wissenschaftler wählt also die relevanten Faktoren aus, sondern das System. Daten auf diese Weise sprechen zu lassen, ist ein Grundprinzip von Big Data.
 

Was macht eine KI?

Stark vereinfachend ausgedrückt ist Künstliche Intelligenz in der Lage, aus großen Mengen an Informationen zu lernen, indem sie wiederkehrende Muster erkennt und diese als Regeln definiert. Füttert man eine geschulte Software mit neuen Daten, kann sie Entscheidungen zu vorher festgelegten Fragen treffen. So lassen sich zum Beispiel anhand von Netzhautbildern diabetisch bedingte Augenerkrankungen diagnostizieren.
 

Proteine so umbauen, dass sie heilen

2017 nahm Thore gemeinsam mit anderen Kommilitonen am Wettbewerb in synthetischer Biologie (International Genetically Engineered Machines, IGEM) in Boston teil. Mit der Protein-Analyse-Software DeeProtein belegte das Heidelberger Team den dritten Platz. Der lernende Algorithmus kann Proteine anhand ihrer Aminosäure-Sequenz identifizieren. Julius Upmeier zu Belzen ist der Ersttautor einer später veröffentlichen Studie zu der Software. Darin entwickelte er eine Methode, um vorherzusagen, wie bedeutend einzelne Abschnitte eines Proteins für seine Funktion sind. Mutieren besonders wichtige Abschnitte, zum Beispiel in Wachstumsfaktoren, kann das zu Krebs führen. „Um Proteine zu verändern und ihnen neue Funktionen zu geben, müssen wir wissen, welche Bereiche unempfindlich sind. Da kann DeeProtein helfen“, erläutert Julius. Die veränderten Proteine finden aktuell Anwendung in der Grundlagenforschung, könnten aber eines Tages auch helfen, Krankheiten zu heilen.

Julius und Thore bereiten zurzeit ihre Promotionsprojekte am Berlin Institute of Health an der Charité vor. Dort arbeiten sie gemeinsam mit Professor Dr. Roland Eils am neu gegründeten Zentrum für digitale Gesundheit. Als nächstes wollen die Nachwuchsforscher mithilfe einer lernenden Software aus Patientenakten und Genom-Daten das Risiko von Herz-Kreislauferkrankungen herleiten. „Das Genom liefert die generelle Veranlagung“, erklärt Thore. „Das tatsächliche Risiko hängt aber auch von Umweltfaktoren und dem individuellen Lebenswandel ab. Indem wir Patientenakten einbeziehen, können wir die Risikoentwicklung zeitlich auflösen und so das Risiko genauer abbilden.” Man erhofft sich davon, dass Ärzte Herz-Kreislaufpatienten noch gezielter behandeln können. Thores Promotion ist als Pilotprojekt angelegt. Das Datenfutter liefert eine Langzeitstudie der Charité, die das Vorhaben auch fachlich unterstützt: Der Kardiologe Professor Dr. Ulf Landmesser formuliert die wissenschaftlichen Hypothesen, die der Algorithmus testen soll, und hilft dabei, die vorhandenen Daten zu interpretieren.
 


Julius Upmeier zu Belzen (22) fühlt sich am Rechner besser aufgehoben als im Labor. Seine Berufschancen als Bioinformatiker schätzt er positiv ein: „In Labors werden heute sehr viele Daten produziert. Die Analytik nimmt immer mehr Raum ein und erfordert immer aufwändigere Methoden.“
Foto: privat

 

KI in der Medizin – ein Hype-Thema wie autonomes Fahren

Projekte wie dieses haben zum Ziel, die neuen Technologien im medizinischen Kontext zu erproben. „Am Ende steht kein fertiges Tool, das man irgendwo kaufen kann“, betont Julius. „Bis zu einer klinischen Anwendung ist es noch ein weiter Weg.“ Was die Arbeit von Bioinformatikern in Deutschland aktuell erschwert: Es gibt kein zentrales Register mit  DNA- und Krankheitsdaten – dafür bräuchte man die elektronische Patientenakte, wie es sie etwa in Dänemark und Estland schon gibt. Forscher wie Julius und Thore behelfen sich darum mit ausländischen Datensätzen, etwa dem der UK Biobank, in der Informationen über rund 500.000 Patienten erfasst sind. Allerdings handelt es sich nicht um Langzeitdaten, sondern um einmalige Erhebungen. Vor allem wegen solcher Datenprobleme stecke ihre Wissenschaft noch in den Anfängen, meint Thore: „KI in der Medizin ist gut vergleichbar mit dem Thema autonomes Fahren. Es wird viel darüber geredet, aber kaum umgesetzt, weil es wirklich schwer ist. Wir müssen verschiedene Datentypen integrieren, haben teilweise unvollständige oder fehlerhafte Daten.“

Wie schlau ist Künstliche Intelligenz?

Angst vor den neuen Technologien muss man aus Sicht der Jungforscher nicht haben. „Wir alle nutzen jeden Tag vielfach Künstliche Intelligenz auf dem Smartphone, zum Beispiel die Spracherkennung“, so Julius. Thore findet den Begriff „Künstliche Intelligenz“ an sich schwierig, weil er suggeriere, dass die Software denken könne: „Diese Systeme werden für eine konkrete Aufgabe trainiert. Sie können aber sonst nichts.“ Ein Algorithmus wird demnach so bald keinen Arzt ersetzen, sondern die Mediziner unterstützen. Für die Diagnose von Augenerkrankungen gibt es bereits erprobte Bilderkennungssoftware, die auch online funktioniert. Gerade in Entwicklungsländern kann so eine KI helfen, die medizinische Versorgung zu verbessern. Dass es wohl noch etliche Jahre dauert, bis die neuen Technologien in der Praxis ankommen, schmälert Thores Begeisterung nicht: „Ich bin optimistisch und freue mich, dass in Deutschland gerade vieles in Bewegung ist.“
 

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