Deutsches Staatsexamen als Pflicht?

  • Beruf & Karriere
  • 25.04.2019

Ohne sie wäre der Personalmangel in Kliniken noch schlimmer: In Deutschland sind immer mehr Mediziner aus Nicht-EU-Staaten im Einsatz. Von den 4.000 ausländischen Ärzten, die 2017 hierher gekommen sind, stammen etwa die Hälfte von außerhalb der Union. Nicht alle von ihnen haben in ihrer Heimat eine qualitativ hochwertige Ausbildung genossen. Sollten sie verpflichtet werden, ein deutsches Staatsexamen abzulegen? Die Ärzteschaft ist sich da nicht ganz einig.
 

Pro

Das deutsche Examen sollte für alle vorgeschrieben sein

Dr. med. Martina Wenker, Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen und Vizepräsidentin der Bundesärztekammer

Ich plädiere dafür, dass jeder, der in Deutschland als Arzt oder Ärztin tätig sein möchte, zuerst das deutsche Staatsexamen bestehen muss – unabhängig von seiner vorausgegangenen Ausbildung. Denn nur diejenigen Ärztinnen und Ärzte, die das deutsche Staatsexamen erfolgreich absolviert haben, können eine ärztliche Versorgung auf dem gewohnt hohen Qualitätsniveau sicherstellen.

So handhaben es zum Beispiel auch die USA: Wer in den Staaten als Facharzt tätig sein will, muss – egal ob US-Bürger oder Ausländer – in einem dreistufigen Verfahren das United States Medical Licensing Examination absolvieren. Hier werden die medizinischen Kenntnisse und Fähigkeiten in Theorie und Praxis geprüft sowie die Sprachkenntnisse bestätigt, ohne die ein erfolgreicher Abschluss nicht möglich wäre.

Bislang ist die Anerkennung von ausländischen Ausbildungsnachweisen in den Bundesländern nicht vergleichbar geregelt. Für die Approbationsbehörden ist jeder Vorgang wie ein Einzelfall zu behandeln. Bei jedem Bewerber muss geprüft werden, ob die im Heimatland absolvierte Ausbildung mit der durch das deutsche Staatsexamen gewährleisteten Qualität vergleichbar ist. Diese Prüfung ist hinsichtlich der Sicherheit der Entscheidung und somit des Schutzes der Patienten nicht ausreichend.

Wenn wir das deutsche Staatsexamen für alle fordern, müssen wir aber auch sicherstellen, dass die ausländischen Bewerber entsprechend gefördert werden. Getreu dem Motto „Fordern und Fördern“ müssen wir eine gut strukturierte Betreuung gewährleisten. Diese muss auch eine zentrale Anlaufstelle und die Bereitstellung von Informationen beinhalten.

Auch der 120. Deutsche Ärztetag 2017 in Freiburg hat beschlossen, dass „die Gleichwertigkeit der medizinischen Grundausbildung aus Drittstaaten in einem bundeseinheitlichen Verfahren und mittels einer gegenüber der zuständigen Approbationsbehörde abzulegenden Prüfung nachzuweisen ist“. Meiner Meinung nach kann so ein bundeseinheitliches Verfahren nur das deutsche Staatsexamen sein.

Kontra

Wir brauchen einen differenzierten Ansatz

Dr. Götz Brodermann, ärztlicher Direktor des Carl-Thiem-Klinikums in Cottbus
 

Bekämen Ärzte aus Nicht-EU-Ländern demnächst erst dann eine Approbation, wenn sie ein Staatsexamen nachweisen können, würde das die Patientenversorgung in Deutschland verschlechtern. Denn dann herrschte in unseren Kliniken bald ein noch größerer Fachkräftemangel als heute. Viele der ausländischen Ärzte würden das Examen nicht schaffen und in der Versorgung fehlen.

Das liegt nicht nur an den sprachlichen Herausforderungen, die solche Multiple-Choice-Prüfungen mit sich bringen. Beim zweiten Staatsexamen werden alle Fächer des Studiums geprüft. Ein Radiologe aus unserem Klinikum etwa, der in einem Nicht-EU-Staat in Osteuropa bereits acht Jahre in seinem Beruf gearbeitet hat, würde daran wohl auf Anhieb scheitern. Ein deutscher Kollege, dessen Studium ebenso lang her ist, aber auch. Denn er müsste etwa wissen, welches die neuesten Therapieschemata für einen Diabetes Typ II sind. Aber muss ein Radiologe das wirklich wissen? Wie absurd eine solche Pauschalprüfung wäre, zeigt auch das Beispiel eines Ärztepaars aus unserem Klinikum, das kürzlich aus der Türkei eingewandert ist. Er ist ein habilitierter Leberchirurg von internationaler Reputation, sie eine Kinder-Hämatoonkologin, die in Istanbul Knochenmark transplantiert hat. Sollten diese Koryphäen tatsächlich erst ein Staatsexamen ablegen müssen, bevor sie bei uns praktizieren dürfen?

Keine Frage: Wir müssen eingewanderte Ärzte prüfen. Aber wir brauchen dazu einen differenzierten Ansatz. Sinnvoll wäre es etwa, neben der fachsprachlichen Prüfung eine Gleichstellungs- und Facharztprüfung für ihren Bereich verpflichtend zu machen, und zwar auf einem bundesweit einheitlichen Niveau. Zurzeit gibt es gerade bei den Sprachtests Unterschiede zwischen den Ländern, was schon zu einem „Approbationstourismus“ geführt hat. Auch wegen dieser Ungleichbehandlung wird jetzt nach einem standardisierten Verfahren gerufen. Deshalb aber gleich ein Staatsexamen für alle einzuführen, hieße das Kind mit dem Bade auszuschütten.

Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe 2/2018 von Richard, dem Kundenmagazin der apoBank. Das Print-Magazin erscheint zwei Mal jährlich und wird per Post an Kunden und Partner der Bank versandt.