Ein Arzt, der nicht behandelt

  • Beruf & Karriere
  • 07.07.2018

Vor kurzem hat er bei einem Logistikunternehmen darüber referiert, wie sich psychische Belastungen am Arbeitsplatz reduzieren lassen. Am Tag darauf: Begehung und Begutachtung eines Callcenters, dazu Telefonate mit dem Betriebsrat eines Automobilherstellers dazu, wie man einen Mitarbeiter nach schwerer Erkrankung am besten wieder eingegliedert.   

Dr. Andreas Fahr, Arbeitsmediziner und freiberuflicher Betriebsarzt aus Berlin, genießt die Breite seines Aufgabenspektrums. Schon während seines Studiums hat er sich für Präventivmedizin und die Zusammenhänge zwischen Krankheiten und Arbeitsplätzen interessiert. „Nach einem dreimonatigen Kurs an der Akademie für Arbeitsmedizin in Berlin stand für mich damals fest, dass ich in diesen Bereich gehen wollte“, so Fahr. Was er besonders schätzt: „Als Betriebsarzt hat man die Chance, Einfluss auf die Arbeitsbedingungen zu nehmen und sie zu verändern. Gleichzeitig begleitet man medizinisch Menschen, die 20 oder 30 Jahre für ein Unternehmen tätig sind. Manche sieht man öfter als der jeweilige Hausarzt.“

Start beim Elektrokonzern

Nach der Approbation absolvierte Fahr seine fünfjährige Weiterbildung bei einem Elektrokonzern, später war er lange Jahre Chef der Abteilung Umwelt, Gesundheit und Sicherheit am Berliner Standort eines Konsumgüterherstellers. „Dort war ich interdisziplinär tätig und hatte neben der Betreuung der Mitarbeiter mit Managern, Betriebsräten, Ingenieuren und auch Wissenschaftlern zu tun“, erzählt er. 2014 hat Andreas Fahr sich selbständig gemacht. Aktuell ist er für mehrere Fahrzeughersteller, eine europäische Behörde, Callcenter, Logistikunternehmen sowie einen Sozialbetrieb für betreutes Wohnen und aufsuchende Familienhilfe im Einsatz.
 

Berufsfeld Arbeitsmedizin

Die Karrieremöglichkeiten eines Arbeitsmediziners sind vielfältig. Sie reichen von Festanstellungen in Betrieben bis hin zur Mitarbeit in überbetrieblichen Zentren oder der selbständigen Tätigkeit. In Deutschland sind rund 10.000 Betriebs- und Werksärzte tätig. Informationen zum Berufsfeld findest Du unter anderem beim Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW) oder bei der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM)
 

Wichtig laut ihm, um die Aufgaben als Betriebsarzt gut zu bewältigen: Man muss sich mit der gesamten Wertschöpfungskette, jedem Produktionsschritt im Unternehmen vertraut machen und unbedingt einen guten Einblick in das Umfeld der Mitarbeiter haben. Im Alltag ist man als Betriebsarzt zum Beispiel dafür zuständig, Gefahrenstoffe zu analysieren und muss sich mit den daraus resultierenden Vorschriften für sichere Arbeitsbekleidung auseinandersetzen. Unverzichtbar sind Kommunikation und Kooperation mit der Geschäftsleitung und den Mitarbeitervertretern.

„Einem angehenden Arbeitsmediziner muss klar sein, dass er sich für viele technische Abläufe interessieren muss, die jenseits der Medizin angesiedelt sind. In erster Linie ist man dafür zuständig, Mitarbeiter und Betriebsparteien zu beraten, Arbeitsplatzbewertungen vorzunehmen und bei möglichen Risiken Veränderungen anzuschieben“, so Andreas Fahr. Das verlangt viel Fingerspitzengefühl: „Als Betriebsarzt muss man sich im Betrieb an die Strukturen anpassen und ein Gespür dafür entwickeln, wie man seine Änderungsvorschläge erfolgreich anspricht.“

Wer selbst Patienten heilen will, wird ihm zufolge als Betriebsarzt wahrscheinlich nicht glücklich: „Wenn jemand mit Haut- oder Rückenproblemen zu mir kommt, kläre ich den Zusammenhang mit der Arbeitsplatzsituation. Zur eigentlichen Behandlung vermittle ich die Erkrankten weiter zu einem niedergelassenen Arzt.“

Den ganzen Tag im kleinen Sprechzimmer?

Um ein Gefühl für den Beruf zu bekommen, rät der erfahrene Betriebsarzt Medizinstudenten, ein Praktikum bei einem weiterbildungsberechtigten Arzt in einem Unternehmen zu absolvieren. Zwar lernen angehende Ärzte im Studium etwas über Berufskrankheiten, so Fahr. „ Aber das Vorurteil, dass ein Betriebsarzt den ganzen Tag im kleinen Sprechzimmer sitzt und dort  Untersuchungen macht, hält sich leider hartnäckig. Das wird unserem Fach nicht gerecht. Medizinische Prävention in Unternehmen ist ein extrem umfangreicher Themenkomplex - und es ist sehr spannend, hier mitgestalten zu können. “

Seinen Berufsweg hat Fahr dementsprechend nie bereut: „Eine eigene Praxis im kurativen Bereich kam für mich nie in Frage. Mir bringen Projekte mit unterschiedlichen Schwerpunkten Spaß. So kommt keine Routine auf.“