Eine Apotheke zum Üben

Übungsapotheke
  • Studium & Lernen
  • 19.03.2018

Was haben ein Taschenrechner und ein Apothekenkassensystem gemeinsam? Ihre Nutzer sollten in der Lage sein, auch ohne diese Hilfsmittel auszukommen. Das findet zumindest Professor Dr. Sönke Behrends. Der Leiter des Instituts für Pharmakologie, Toxikologie und Klinische Pharmazie der Technischen Universität Braunschweig hat deshalb bereits 2007 eine Schulungsapotheke einrichten lassen.

Herr Prof. Dr. Behrends, warum gibt es bei Ihnen eine Schulungsapotheke?
Ich kannte so eine Übungs-Einrichtung von der Universität Toronto, wo ich einige Zeit gearbeitet habe - und als ich dann hier in Braunschweig gestartet bin, fand ich, dass wir so etwas auch hier gut brauchen könnten. Angehende Pharmazeuten müssen sehr viel auswendig lernen, von daher haben sie beim Transfer ihres Wissens in praktische Situationen hinein vielfach Schwierigkeiten. Genau diesen Transfer wollen wir in der Schulungsapotheke trainieren, die ziemlich genau einer normalen, öffentlichen Offizin nachempfunden ist. Anfangs fällt den Studenten das oft noch schwer, wenn sie in unserer Apotheke vor dem Medikamentenregal stehen. Wenn ein Kommilitone den Kunden spielt und ihnen Fragen stellt, können sie diese häufig nicht beantworten. Sind sie mit denselben Fragen dagegen in einer Klausur konfrontiert, klappt es problemlos.
 

Welche Lerneffekte wollen Sie damit erzielen?

Wir wollen die theoretische Ausbildung im Bereich Klinische Pharmazie und evidenzbasierte Pharmakotherapie verfestigen und vertiefen. Vor allem sollen die angehenden Apothekerinnen lernen, pharmazeutische Inhalte richtig und verständlich rüberzubringen, so dass die Kunden sie auch verstehen. Wir trainieren zum Beispiel anhand von Fall- und Rezeptbeispielen, wie man mit komplexen Medikationen und Medikationsplänen umgeht. Deshalb proben wir in unseren Übungen sowohl Grenzfälle aber auch alltägliche Situationen.

Wie sieht das ganz konkret aus?

Eine Lerngruppe besteht im Schnitt aus 15 Studierenden. Ein Studierender fungiert als ‚Apotheker’ und steht hinter dem Counter. Von einem Kommilitonen, dem ‚Kunden’, erhält er zwei Übungsrezepte, die von unterschiedlichen Ärzten ausgestellt wurden: Vom Kardiologen liegt ein Rezept mit einem Herzkreislaufmedikament vor, einem Beta-Blocker vor. Das Rezept vom Hausarzt zeigt eine typische Asthmamedikation. Im Idealfall schaltet der ‚Apotheker’ und erkennt eigenständig, dass der Beta-Blocker einen tödlichen Asthma-Anfall auslösen kann. Spätestens wenn er die Medikamentenkombination ins Kassensystem eingibt, erscheint ein Warnhinweis, der ihn auf mögliche Gefahren hinweist. Der ‚Apotheker’ muss jetzt den ‚Patienten’ aufklären, dass er die verschriebene Arznei wegen der Asthmaerkrankung nicht ausgeben darf. Im echten Leben müsste er dann Kontakt mit dem behandelnden Arzt aufnehmen, um eine Lösung zu finden.

Viele Apotheken-Kunden fragen nach Schmerzmitteln. Ist auch das ein Thema bei Ihnen?

Natürlich. Wir trainieren zum Beispiel, wie man vor Schmerzmittelmissbrauch warnt. Aber die Studierenden sollen auch einschätzen lernen, wenn die Warnhinweise des Kassensystems nur auf versicherungsrechtlichen Gründen basieren. Das ist häufig bei Hinweisen auf Schwangerschaften der Fall, deshalb erhalten Schwangere nicht selten weniger Arzneimittel, als es aus medizinischer Sicht sinnvoll wäre. Diese Situationen werden bei uns in Seminaren vertieft, damit die Studierenden lernen weiterzudenken, als es der Beipackzettel vorgibt.

Ab welchem Semester können die Studenten die Einrichtung nutzen?

Im 7. und 8. Semester halten wir darin pharmakologisch-toxikologische Demonstrationskurse ab und lassen die Studenten Referate vorbereiten. Im 7. Semester nutzen wir den Apothekenrechner außerdem zu Demonstrationszwecken im Hörsaal. Bei Lehrveranstaltungen zur Pharmakoepidemiologie im 7. Semester oder zur Klinischen Pharmazie im 8. Semester können die Studierenden den Kassenrechner verwenden, um selbst Nebenwirkungen von Arzneimitteln zu recherchieren. Die Studenten des 8. Semesters dürfen die Schulapotheke ohnehin so viel zum Üben besuchen, wie sie möchten.

Sie haben an der Universität Toronto gelehrt. Was ist am dortigen Pharmaziestudiengang anders als an den deutschen Studiengängen?

An der Universität in Toronto müssen die Studierenden viel selbstständiger arbeiten. Außerdem legt das Studium den Fokus mehr auf Klinische Pharmazie. Bei uns dagegen basiert das Pharmaziestudium zu 40 Prozent auf Chemie, jeweils 20 Prozent machen Technologie, Pharmazeutische Biologie und die Kombination aus Pharmakologie, Toxikologie und Klinischer Pharmazie aus. Ich würde es begrüßen, wenn letztere Fächerkombination auf einen vierzigprozentigen Anteil käme. Schließlich wollen wir sowohl Menschen ausbilden, die in einer Apotheke arbeiten, als auch Fachleute für Industrie und Forschung. Da in Deutschland aber nun einmal die chemische Ausbildung im Vordergrund steht, bin ich über unsere Schulungsapotheke froh. Hier lernen unsere Studierenden in einem praktischen Szenario, medizinische Fakten verständlich zu erklären.