Haustiere von Obdachlosen sind ärztlich oft schlecht versorgt - Leipziger Tiermedizin-Studierende helfen

Foto: Bunter Hund Leipzig e.V.
  • Studium & Lernen
  • 02.07.2019

Für viele Wohnsitzlose und Suchtkranke sind Haustiere ein wichtiger seelischer Halt. Doch wer jeden Euro umdrehen muss, geht in der Regel nicht zum Tierarzt. Der studentische Verein „Bunter Hund Leipzig“ organisiert eine Grund- und Notfallversorgung für bedürftige Patientenbesitzer.

50 Euro für eine Impfung, 30 Euro für Zecken- und Flohschutz – das ist viel Geld für jemanden, der am Existenzminimum lebt. Im Leipziger Stadtteil Grünau, einer der größten Plattenbausiedlungen aus DDR-Zeiten, wohnen viele Menschen, die sich diesen vermeintlichen Luxus schwer leisten können. Hier betreibt Dr. Martina Menzel ihre Kleintierpraxis. Sie ist eine von fünf Veterinären vom Verein „Bunter Hund Leipzig“, die Gratisbehandlungen anbieten. Alle fünf Wochen ist die Praxis zwei Stunden lang für Menschen geöffnet, die man sonst nicht im Wartezimmer eines Veterinärs antrifft, vor allem Obdachlose, Drogen- oder Alkoholabhängige. Sie kommen aus der ganzen Stadt zu Menzel – koordiniert von verschiedenen Sozialverbänden, die Bedürftige auf das Angebot aufmerksam machen und anmelden. Jede Woche stellen sich rund zehn Tierbesitzer vor; die Termine sind mehr als einen Monat im Voraus ausgebucht. Im Notfall können die Tierhalter auch außer der Reihe kommen.
 

Foto: Tierarztpraxis Dr. Menzel

Dr. Martina Menzel (56) unterstützt den Verein seit dem Gründungsjahr 2011 als Tierärztin. „Ich kann bedürftigen Leuten nicht mit Geld helfen, aber mit meiner Arbeit“, sagt sie. „Als ich vom Bunten Hund gehört habe, dachte ich sofort: Auf so etwas habe ich gewartet!“

 

 

 

Wie der Name der Hilfsorganisation erwarten lässt, sind die meisten Patienten Hunde. Es werden aber auch Katzen und andere Kleintiere wie Kaninchen in die Sprechstunde gebracht. Sie erhalten kostenlos Impfungen, Parasitenschutz und einen allgemeinen Gesundheitscheck. Zusätzliche Diagnostik, etwa Röntgenbilder oder Bluttests, müssen die Halter in der Regel selbst finanzieren, ebenso Eingriffe und aufwändige Therapien, beispielsweise von Diabetes. „Im Notfall gehen wir in Vorleistung, aber bei planbaren Maßnahmen reden wir mit den Besitzern darüber, ob sie mindestens die Hälfte selbst tragen können. Viele aktivieren dann zum Beispiel ihr soziales Netzwerk und bekommen das nötige Geld meistens auch zusammen“, erklärt Aline Keilhaue, Tiermedizinstudentin und Vorstandsmitglied im Verein.
 

Klartext reden bei zu viel Tierliebe

Um die Gratisleistungen sicherzustellen, werben die Ehrenamtlichen laufend um Spenden, auch bei Unternehmen. Ende 2018 unterstützte etwa die apoBank Stiftung den Verein mit 2.750 Euro. Mit diesem Geld deckte Martina Menzel sich und ihre Veterinärkollegen mit Impfstoffen und Parasitenschutz für ein ganzes Jahr ein. „Ich konnte einen so guten Deal mit dem Lieferanten aushandeln, dass wir noch Geld übrig haben“, sagt die Tierärztin. Darum kann der Bunte Hund in diesem Jahr ausnahmsweise kleinere OPs wie Kastrationen übernehmen.

Manchmal können die Freiwilligen jedoch nicht helfen – das sind schwierige Momente. „Bestimmte Erkrankungen kann man nur noch palliativ behandeln. Das zu kommunizieren ist hart, gerade wenn wir es mit psychisch kranken Menschen zu tun haben“, sagt Aline. „Die Tiere sind für die meisten Besitzer der allerwichtigste Bezugspunkt.“ Unangenehme Gespräche müssen die Tierärzte und ihre studentischen Assistenten nicht allein führen. Während der Sprechstunden ist immer ein Sozialarbeiter dabei, der die Besitzer oft schon länger kennt und im Dialog vermittelt. Martina Menzel weiß, wann sie Klartext reden muss: „Wir kümmern uns beim Bunten Hund, so gut es geht, auch um die Menschen. Wenn ich zum Beispiel mit einer jungen Frau spreche, die Arbeit sucht und sich trotzdem einen zweiten Hund kaufen will, rate ich ihr dringend davon ab. In so einer Situation ist es wichtiger, flexibel zu sein.“
 

Foto: Bunter Hund Leipzig e.V.

Aline Keilhaue (21) studiert Tiermedizin im 6. Semester an der Universität Leipzig und engagiert sich ebenso lange schon im Verein „Bunter Hund“.

 

 

 

 

Tierbesitzer kommen nicht wieder? Manchmal ein gutes Zeichen...

Studierende vom Verein sind abwechselnd bei den Sprechstunden dabei und assistieren den Tierärzten. Vor allem für Erst- und Zweitsemester sei das auch fachlich interessant, so Aline: „Man lernt, wie die Untersuchungsgänge ablaufen, welche Stellen man sich besonders anschauen muss, wie man Herz und Lunge abhört und wie man zum Beispiel eine gerötete Schleimhaut erkennt. Im Studium macht man das alles ja viel später.“ Dennoch ist es nicht ganz einfach, neue Mitstreiter zu finden – da geht es den engagierten Tiermedizinern wie anderen Ehrenamtlichen an der Uni. „Unser Studium ist eben nicht ohne, und wer bei uns mitmacht, sollte ein bisschen Zeit übrig haben“, räumt Aline ein. Sie selbst muss sich auch schon einmal durchbeißen; sie nervt vor allem der Papierkram, mit dem sie sich als Vorstand befassen muss. Schönere Momente der Vereinsarbeit sind unter anderem die, wenn bedürftige Tierhalter aus der sozialen Klemme herauskommen. „Wir kriegen das nicht immer mit, viele verschwinden sozusagen in der Versenkung. Andere sind stolz, dass sie wegkommen vom Bunten Hund, und melden sich bei uns ab. Wir sind vielleicht nur Tropfen auf den heißen Stein, freuen uns aber, wenn es diesen Menschen und ihren Tieren besser geht.“