Der vegane Apotheker

  • Beruf & Karriere
  • 28.09.2018

Seit Anfang 2016 betreibt Dr. Arnulf Diesel (40) die MAXMO Apotheke Düsseldorf Wehrhahn. Als überzeugter Veganer hat er sich schon während seines Studiums mit tierischen Inhaltsstoffen in Medikamenten befasst. Wir haben ihn gefragt, welche Beratung er vegan lebenden Kunden anbietet, und welche Kompromisse sie in Kauf nehmen müssen.

Herr Diesel, warum genügt nicht der Blick in den Beipackzettel, um herauszufinden, ob eine Arznei vegan ist?

Weil ich dafür Fachkenntnisse brauche, die über das hinausgehen, was ich beim Lebensmittelkauf wissen muss. Sicher kann ich selbst nachlesen, ob eine Kapsel aus Gelatine besteht oder eine Tablette Laktose enthält. Andere Fälle sind schwieriger. Zum Beispiel lässt sich Vitamin D aus tierischen oder pflanzlichen Substanzen gewinnen, was nicht immer deklariert ist. Ähnlich verhält es sich mit Magnesiumstearat. Das wird in der Produktion oft als Trennmittel verwendet. Solche Fragen kläre ich mit den Herstellern und archiviere die Informationen in meinem Computer.

Gibt es überhaupt genug Auswahl für Veganer?

Bei der Selbstmedikation sehe ich keine Einschränkungen. Und auch bei verordneten Medikamenten hat man Wahlmöglichkeiten. Wenn etwas verschrieben wurde, das nicht-vegan ist, halte ich Rücksprache mit dem Arzt über Alternativen. Zum Beispiel kann man statt einer Antibiotika-Kapsel aus Gelatine auch ein Mittel aus derselben Wirkstoffgruppe verordnen, das in Tablettenform erhältlich ist. Bei Bedarf stellen wir vegane Arzneien in pflanzlichen Kapseln hier in der Apotheke her. Solche Rezepturen übernimmt die Kasse jedoch nur, wenn sie in dieser Form vom Arzt verordnet wurden.

 

Verzicht von Kindesbeinen an

Dr. Arnulf Diesel ist seit seinem zehnten Lebensjahr Veganer aus Überzeugung. Es begann damit, dass er in der Schulbibliothek Bücher über Fleischproduktion las: Schockiert entschied er, keine Tierprodukte mehr zu essen. Seine Eltern akzeptierten das, obwohl sie sich Sorgen machten, dieser Speiseplan könnte seine Entwicklung stören. Diesel sieht sich als lebenden Beweis dafür, dass dies nicht sein muss, solange man auf die Nährstoffe achte.
 

Und wenn Sie doch einmal keine Alternative finden?

Als Heilberufler rate ich dazu, die Arznei trotzdem einzunehmen. Die meisten Kunden sind auch so flexibel, ihrer Gesundheit zuliebe. Wenn jemand doch ein Problem damit hat, empfehle ich dringend, das mit dem Arzt abzuklären.

Streng genommen mussten für jede Arznei Tiere leiden – in der Forschung. Wie gehen Veganer damit um?

Ich habe damit auch ein moralisches Problem. Versuche am Tier sind aber gesetzlich vorgeschrieben. Unter Veganern gibt zwei Auffassungen dazu: Für die einen ist ein Medikament akzeptabel, wenn für die Herstellung keine Tiere mehr zu Schaden kommen. Die anderen lehnen getestete Medikamente komplett ab – für sie kann ich als Apotheker nichts tun. Diese strikten Veganer kommen ohnehin nicht zu uns.

Bieten auch Ihre Mitarbeiter die spezielle Beratung an?

Nein, in der Regel verweisen sie an mich. Es ist nicht so leicht, sich in das Thema hineinzudenken und jeden Aspekt zu berücksichtigen, wenn man selbst nicht vegan lebt. Ich schätze, das ist auch der Grund, warum es bislang so wenige Apotheken mit diesem Angebot gibt.

Vermarkten Sie Ihr veganes Angebot denn auch offensiv? 

Grundsätzlich geht es uns darum, mit Beratung zu überzeugen – und nicht um offensive Vermarktung. Wir haben in unserer Apotheke ein gut sichtbares Regal mit veganen Produkten. Die Kooperative, der wir angehören, informiert auf ihren Kommunikationskanälen über unser Beratungsangebot, zum Beispiel in sozialen Medien. Außerdem schalten wir Anzeigen im Onlineportal des Vegetarierbunds VEBU.

Wahrscheinlich haben Sie viele Veganer als Stammkunden...

Einige Kunden fahren quer durch die Stadt zu uns. Und da es in Deutschland nicht so viele Experten für das Thema gibt, bekomme ich auch Anfragen von weither, etwa aus Hamburg oder München. Diese Fragen beantworte ich dann um der Sache willen – daran verdiene ich ja nichts.

Sollte das Thema in der Pharmazie-Ausbildung eine Rolle spielen?

Das Pharmaziestudium bietet schon genug Inhalte, da braucht man keine speziellen Seminare über Veganismus. Ich finde es aber sinnvoll, wenn man sich im Studium mit der Herkunft von Inhaltsstoffen befasst. Schließlich gibt es in unserer Gesellschaft vielfältige Ernährungsformen, religiöse Tabus und Unverträglichkeiten.
 

Weniger Tier auf dem Teller?

Für ein veganes Leben entscheiden sich immer mehr Menschen in Deutschland. Auch andere Formen des Verzichts liegen laut dem Deutschen Vegetarierbund VEBU im Trend:

  • Rund acht Millionen Menschen im Land essen kein Fleisch, das entspricht zehn Prozent der Bevölkerung. Im Jahr 2000 lag der Anteil noch bei etwa acht Prozent.
  • 1,3 Millionen Vegetarier ernähren sich rein pflanzlich (1,6 Prozent der Bevölkerung).
  • Vier von fünf Veganern sind Frauen.
  • Die Hälfte der im Land lebenden Menschen gibt an, möglichst oft auf Fleisch zu verzichten („Flexitarier“).

Nach Zahlen des Bundesverbands der Deutschen Fleischwarenindustrie blieb der jährliche Fleischverzehr pro Kopf seit 2003 jedoch relativ konstant bei etwa 60 Kilogramm.