Tschüss, Globuli!

Globuli
  • Beruf & Karriere
  • 08.05.2019

Homöopathie – eine sinnvolle Alternative oder nur Hokuspokus? Die Apothekerin Iris Hundertmark (44) hat eine klare Meinung: Im Sommer verbannte sie homöopathische Produkte aus ihrem Verkaufsraum. Einige Kunden waren irritiert. Andere fühlen sich jetzt offenbar noch besser bei ihr aufgehoben.

In der Bahnhof Apotheke im bayerischen Weilheim standen homöopathische Produkte bis vor kurzem noch gut sichtbar in einem großen Regal. Jetzt verkauft Iris Hundertmark die Produkte nur noch auf individuelle Bestellung oder Rezept. Die Pharmazeutin sieht das als wichtigen Schritt, den auch andere Apotheker gehen sollten. Nachdem die Medien über Hundertmarks Entscheidung berichtet hatten, schlugen die Wellen allerdings hoch: Einige Berufskollegen warfen ihr Verrat und ein allzu pauschales Urteil vor.

Frau Hundertmark, warum haben Sie Globuli aus dem Blickfeld Ihrer Kunden entfernt?

Iris Hundertmark: Der Lehre der Homöopathie stehe ich bereits seit meinem Pharmaziestudium kritisch gegenüber. Ich habe gelernt, die Evidenz von Wirkstoffen zu betrachten, wissenschaftliche Studien zu lesen und zu verstehen. Für die Homöopathie erkenne ich keinen anerkannten Wirkungsnachweis. Ich fühle ich mich in der Verantwortung meinen Kunden gegenüber. Sie kommen zu mir wegen meiner pharmazeutischen Fachkenntnisse und einer ehrlichen Beratung, die sich von der Laienmeinung unterscheidet. Ich stellte mir also irgendwann die Frage: Bin ich vor allem Kauffrau und in der Not, etwas zu verkaufen, von dem ich weiß, dass darin kein Wirkstoff enthalten ist? Oder habe ich einen ethischen Heilberuf erlernt, den ich inhaltlich ernst nehme? Ich habe mich entschieden – auch wenn ich damit Gefahr laufe, mal etwas nicht zu verkaufen.

Raten freundlich von Homöopathie ab: Iris Hundertmark (5.v.l.) und ihre Kolleginnen.
 

Wie beraten Sie Kunden, die Globuli verlangen?

Ich frage sie zunächst, ob sie wissen, was homöopathische Mittel überhaupt sind. Viele Kunden verwechseln Homöopathie mit pflanzlichen Arzneimitteln der Naturheilkunde. Sie gehen davon aus, dass in den Globuli Wirkstoffe enthalten sind, die pharmakologisch wirken. Ich erkläre ihnen dann, dass die Urtinkturen wahnsinnig stark verdünnt sind – dass zum Beispiel bei einer D6 Potenz der Wirkstoff um sechs Zehnerpotenzen verdünnt wurde und nur der Anteil von einem Millionstel der Urtinktur enthalten ist. Die meisten Kunden hören das zum ersten Mal und sind überrascht. Wenn sie zum Beispiel nach Arnika-Globuli gefragt haben, verstehen sie es dann, wenn ich ihnen stattdessen ein pflanzliches Arnika-Präparat empfehle.

Sind alle Kunden für diese Beratung empfänglich?

Kunden reagieren immer positiv auf Beratung und ehrliche Empfehlungen. Sie schätzen kritische Bemerkungen des Apothekers und lassen sich gerne auf ein Gespräch ein. Das Wissen eines Apothekers muss sich von Laienmeinungen unterscheiden. Sonst bräuchte es uns nicht. Es gibt aber natürlich auch Kunden, die auf Homöopathie schwören und sich nicht umstimmen lassen. Das ist dann natürlich vollkommen in Ordnung. Ich habe beraten – die letzte Kaufentscheidung liegt bei meinem Kunden.

Verfechter der Homöopathie weisen auf Studien hin, die aus ihrer Sicht eine Wirkung belegen. Wie stehen Sie dazu?

Es gibt keine einzige offiziell anerkannte Studie, die die Wirksamkeit der Homöopathie belegt. Das ist ein Fakt.

Es gibt Apotheker, die das offenkundig anders sehen …

Ja, das ist schlimm. Es gibt Apotheker, die ihren Kunden gegenüber behaupten, es gäbe Studien, die die Wirksamkeit der Homöopathie belegen. Das ist die Unwahrheit.  

Immerhin übernehmen auch gesetzliche Krankenkassen die Kosten für homöopathische Produkte.

Krankenkassen sollten die Erstattung homöopathischer Mittel aus erwähnten Gründen aus ihren Leistungskatalogen streichen. Versicherte sollten sich darauf verlassen können, dass die Kassen nur bezahlen, was einen Wirkungsnachweis erbracht hat.
 

Hochverdünnt, hoch im Kurs

Die Homöopathie will Krankheiten mit stark verdünnten pflanzlichen Substanzen kurieren, die beim Menschen ähnliche Symptome hervorrufen wie das eigentliche Leiden. In Deutschland sind homöopathische Produkte apothekenpflichtig, müssen jedoch keine aufwändige Zulassung mit klinischen Studien durchlaufen. Deutsche Apotheken erzielten zuletzt steigende Umsätze mit Globuli: Im ersten Halbjahr 2018 brachten die Mittel bundesweit rund 338 Millionen Euro ein, fünf Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahrs. Wie Apotheker und Ärzte mit Homöopathie umgehen sollten, ist heftig umstritten. Das Informationsnetzwerk Homöopathie zum Beispiel fordert Politik und Heilberuflerverbände auf, die über 200 Jahre alte Lehre nicht mehr als medizinische Alternative anzuerkennen. Dagegen wehrt sich etwa der Zentralverein homöopathischer Ärzte, in dem sich auch Apotheker organisieren.

Die vermeintliche Wirkung der homöopathischen Medikation lässt sich auch auf den so genannten Placeboeffekt zurückführen. Heute wird intensiv darüber diskutiert, was die Macht der Erwartungen bewirkt und wie sie optimal für den Heilungsprozess eingesetzt werden.

Was ist mit positiven individuellen Erfahrungen von Patienten – geht da nicht etwas verloren, wenn man Homöopathie strikt verbannt?

Ich verbanne Homöopathie nicht. Ich übe meinen Beruf aus, indem ich nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft informiere. Ich empfehle Produkte nicht aufgrund meiner persönlichen Meinung oder der Erfahrungen, die irgendwelche Leute eventuell und irgendwann damit gemacht haben. Das wäre alles andere als seriös oder fundiert. Sonst könnte ich als Kunde ja auch Leute in irgendwelchen Internet-Chatrooms befragen und bräuchte nicht in eine Apotheke zu gehen.

Schadet Ihr Anti-Homöopathie-Kurs Ihnen wirtschaftlich?

Es ist noch zu früh, um Bilanz zu ziehen. Mein Eindruck allerdings ist, dass sich mein Kundenstamm erweitert hat. Viele Leute kommen von weit her extra zu mir in die Apotheke, weil sie auf mein Fachwissen vertrauen. Wie gesagt: Ehrliche Beratung wird geschätzt.

Wie sollten angehende Apotheker mit dem Thema umgehen?

Ich hoffe, dass junge Pharmazeuten kritisch bleiben und sich vom Alltag in der Apotheke nicht vereinnahmen lassen. Ich kann nur sagen: Liebe Apotheker: Vergesst nicht, was ihr gelernt habt! Bleibt eurer Wissenschaft treu! In letzter Zeit habe ich übrigens viele Zuschriften von Fachschaften und Studenten bekommen, die mich zu meiner Entscheidung beglückwünscht haben. Das hat mich sehr gefreut.