Der wahre Geist der Weihnacht

Elisabeth Urich
Elisabeth Urich, Medizinstudentin in Berlin, arbeitet an den Feiertagen sogar recht gerne in der Klinik.
  • Beruf & Karriere
  • 22.12.2017

Dieses Jahr habe ich frei über Weihnachten. 2016 war das anders, damals arbeitete ich über die Feiertage als Pflegekraft auf der Kardiologie.
Und mein Dienst begann denkbar schrecklich - mit einem Todesfall. Eine ältere Dame war uns in der Nacht relativ plötzlich verstorben, ohne dass wir der Familie ein Abschied nehmen ermöglichen konnten. Super, gerade mal halb sechs; wenn der Dienst schon so anfängt, dachte ich, kann das ja noch heiter werden. Was sollte ich der Familie sagen? „Mein Beileid, aber trotzdem frohe Weihnachten?“ Das hatte ich mir anders vorgestellt.

Eigentlich hatte ich mich nämlich darauf gefreut, an Heilig Abend zu arbeiten. Ich fand den Gedanken schön, meinen Patienten einen möglichst beschwingten Tag zu bereiten. Immerhin können sie ja nichts dafür, dass sie ausgerechnet an Weihnachten krank sind. Der Dienst, das hatte ich mir fest vorgenommen, sollte sich nicht wie jeder andere Tag auf Station anfühlen. Deshalb hatten wir zum Beispiel unser eigenes kleines Weihnachtsfestmahl im Vorfeld geplant. Üblicherweise haben die Pausen im Klinikum ja eine eher untergeordnete Bedeutung. Doch für uns als Team war es wichtig, unsere jeweiligen Traditionen nicht zu übergehen – sondern einfach ein bisschen anders als sonst zu zelebrieren.

Schneebälle im Stationsbad

Nach diesem Dienstbeginn aber erschienen mir heitere Weihnachten erst einmal unvorstellbar. Bis die Patienten im voll belegten Vierbettzimmer plötzlich eine sehr schräge Version von „Oh du fröhliche“ anstimmten und einer der Oberärzte mit Weihnachtsmannmütze um die Ecke bog. Von draußen schleuderten aufgedrehte Kinder Schneebälle durchs offene Fenster ins Stationsbad, die Reinigungskräfte warfen die matschigen Klumpen zurück. Eine ältere Dame erzählte mir von ihrer ersten Erinnerung an Weihnachten 1943, als das Christkind ihr inmitten der Kriegswirren Nüsse brachte. Als meine Kollegin und ich uns dann gegenseitig die Weihnachtssocken zeigten, mit denen wir uns extra für diesen Dienst ausstaffiert hatten, fühlte sich die Stimmung am Ende doch sehr weihnachtlich an.

Nennt mich ruhig naiv: Ich bin immer noch der felsenfesten Überzeugung, dass selbst in den dunkelsten und kältesten Momenten Wärme, Güte und Freude Menschen berühren können. Sicherlich werde ich im Laufe meines Medizinerlebens der Nachtdienste an Feiertagen ein wenig müde werden. Als Arztkind kenne ich die Unsicherheit, die mit Hintergrunddiensten einhergeht, ziemlich gut: Ich erinnere mich lebhaft an Weihnachtstage, an denen ich kurzerhand auf die ITS (für Nicht-Mediziner: die Intensivstation) mitkam, weil meine Mutter dorthin gerufen wurde. Umso besser, dass auf mich im Moment zuhause nur die Katze wartet, wenn ich vom Feiertags-Dienst komme. Noch empfinde ich es als wunderbares Geschenk, dass ich es meinen Kollegen ermöglichen kann, ihre eigenen Kinder an den Feiertagen zu sehen.

Nach dem Dienst an Weihnachten 2016 jedenfalls ließen wir es im Team bewusst ruhiger angehen. Anstatt uns wie üblich nach der Übergabe möglichst schnell umzuziehen, nahmen wir uns die Zeit, einander ohne Eile gesegnete Weihnachten zu wünschen. Erst danach brach ich auf zum Gottesdienst und meine Kollegin zu ihren Kindern nach Hause. Denn das ist doch der wahre Geist der Weihnacht: unabhängig von den Umständen und dem Chaos des (Krankenhaus-)Lebens kurz inne zu halten und sich Zeit für die Geduld und Liebe miteinander zu nehmen. Wer innerlich offen in die Feiertagsdienste geht wird merken: sei es ein lieber Gruß, ein Lied oder Plätzchen - die Magie von Weihnachten lässt sich auch im Krankenhaus finden.

 

Elisabeth Urich, 22 Jahre alt, ist wie sie sagt "Charité seit Geburt" und studiert im 5. Semester Humanmedizin in Berlin. Als Ärztin möchte sie später die Welt retten oder zumindest ein wenig besser machen, derzeit bevorzugt als Viszeralchirurgin bei "Ärzte ohne Grenzen". Urich lebt zusammen mit ihrer Katze und einem Skelett namens Barbarossa, das meistens Blümchenkleider trägt.