Chirurgie: Tägliche Erfolgserlebnisse sind der Lohn

Interview Tobias Hülsen
  • Beruf & Karriere
  • 19.08.2016

Chirurg Tobias Hülsen, der am Malteser Krankenhaus St. Johannes-Stift tätig ist, hat mit uns über seinen Job gesprochen – und warum er ihn trotz anstrengender Nachtdienste nicht missen will.

Lieber Herr Hülsen, können Sie sich noch an Ihre erste Operation erinnern?

Tobias Hülsen: „Ja, das war die Entfernung eines gutartigen Fettgewebstumors, eines Lipoms. Es war ein junger Patient, der am Rücken solch eine Veränderung hatte. Es war ein komplikationsloser und risikoarmer Eingriff.

Wie viel Angst hatten Sie davor?

Hülsen: „Es war das erste Mal, dass ich selbst aktiv an einem Menschen einen Schnitt, also eine Operation, durchgeführt hatte. Angst davor hatte ich nicht, aber selbstverständlich Respekt. Bei jedem Eingriff fügt man einem Patienten in gewisser Weise ja zunächst Schaden zu, um den bestmöglichen Effekt zu erzielen.“

Man hat auch sofort deutlich mehr Verantwortung: Wie schwer war der Umstieg?

Hülsen: „Während ich als Student behütet gewesen bin, musste ich nun meine eigenen Entscheidungen treffen. Ich hatte vorher keine Verantwortung für diagnostische oder therapeutische Schritte. Es gab also immer jemanden, der mir über die Schulter geschaut hat, damit alles richtig läuft. Als ich mein Examen in der Tasche gehabt und meine erste Stelle angetreten hatte, war damit ein höheres Maß an Verantwortlichkeit verbunden. Gerade in der ersten Zeit ist die gute Zusammenarbeit in einem Team sehr wichtig, um Sicherheit zu gewinnen. In meinem Fall gab es drei Altassistenten, die sich gekümmert haben, der Einstieg fiel daher relativ leicht.“

Wie haben Sie Ihre ersten Nachtdienste erlebt?

Hülsen: „Das ist ein ganz gravierender Einschnitt gewesen. Als einziger diensthabender Chirurg ist man für das gesamte Haus mit über 260 Betten verantwortlich. Für jedes auftretende chirurgische Problem stellt man die erste Anlaufstelle dar. Hinzu kommt die Versorgung der Notfallpatienten in der Ambulanz. Bei mir hat es etwa ein halbes Jahr gedauert, bis ich mich sattelfest gefühlt habe.“

Wichtig ist es auch, seine eigenen Kompetenzen und Grenzen möglichst realistisch einschätzen zu können.

Haben Sie sich vor dem Einstieg in die Unfallchirurgie auch über Versicherungsschutz informiert?

Hülsen: „Zum Einstieg war das nicht so ein großer Faktor. Ich hatte mich bereits in der Studentenzeit informiert und mich schon damals abgesichert. Zudem bin ich über meinen Arbeitgeber gut versichert.“

Wie ausschlaggebend war der finanzielle Faktor bei der Berufswahl?

Hülsen: „Ausschlaggebend war die Möglichkeit, meine naturwissenschaftlichen Interessen und die Arbeit mit Menschen verbinden zu können. Die sicherlich nicht schlechte Bezahlung ist dabei ein positiver Begleitfaktor.“

Zurück ins Krankenhaus: Gibt es sowas wie einen normalen Arbeitstag als Chirurg in der Unfallklinik?

Hülsen: „Es gibt einen stark strukturierten Tagesablauf: Der Tag beginnt um 7.30 Uhr mit der Frühbesprechung, danach stehen entweder Operationen oder die Stationsarbeit an. Hierzu gehören die Visite, Anordnungen, Aufklärungs- und Patientengespräche sowie zunehmend administrative Tätigkeiten. Hinzu kommen die „24-Stunden-Dienste“, hiervon muss jeder Assistent im Schnitt fünf pro Monat besetzen. Eine permanente Belastung stellen da insbesondere die unregelmäßigen Arbeitszeiten mit Nacht- und Wochenenddiensten dar. Wie belastend das ist, merkt man erst wirklich in der permanenten Alltagsroutine. Eine Familiengründung ist beispielsweise unter diesen Bedingungen nicht einfach.“

Gibt es neben den „24-Stunden-Diensten“ auch weitere spezielle Dienste?

Hülsen: „In unserem Krankenhaus gibt es noch eine Besonderheit in Form einer Rotation: Ein Kollege ist für jeweils einen Monat lang in der Ambulanz. Er geht nach der Frühbesprechung in die Ambulanz, wo er den chirurgischen Notruffunk übernimmt, die aus der Nacht wiedereinbestellten Patienten sieht und mit ihnen das weitere therapeutische Prozedere bespricht. Ebenso klärt er die Patienten über Eingriffe und Risiken auf, die an den folgenden Tagen elektiv operiert werden. Und natürlich kümmert er sich auch um die Menschen, die als Notfälle in unser Krankenhaus eingeliefert werden - sei es per Krankenwagen, Notarzt oder als Laufkundschaft.“

Welche Stärken oder Talente sollte man Ihrer Meinung nach haben, um als Chirurg arbeiten zu können?

Hülsen: „Der chirurgische Beruf erfordert neben anatomischen Kenntnissen und räumlich-visuellem Vorstellungsvermögen insbesondere ein hohes Maß an manuellen Fähigkeiten. Selbstverständlich ist bei der Arbeit am Menschen ein besonderes Maß an Sorgfaltspflicht nötig. Wichtig ist es auch, seine eigenen Kompetenzen und Grenzen möglichst realistisch einschätzen zu können. Eine gewisse Stressresistenz sollte ein Chirurg zudem besitzen, um mit klarem Kopf, Entscheidungen treffen zu können.“

Aber natürlich gibt es auch diverse gängige Klischees, wie der denkende, überlegende und eher abwartende Internist oder der geschickte, pragmatische und entscheidungsfreudige Chirurg, die dann ab und an im Einzelfall bestätigt werden.

Chirurgen und Internisten mögen sich nicht“ – stimmt dieses Klischee?

Hülsen: „Dieses Klischee kann ich nicht bestätigen. In einem Haus wie dem unserem, das kein Maximalversorger ist, sondern ein Grundversorger mit unterschiedlichen Spezialisierungen, ist es toll, dass der interdisziplinäre Austausch über den kleinen Dienstweg möglich ist. In anderen Häusern ist das deutlich schwieriger. Aber natürlich gibt es auch diverse gängige Klischees, wie der denkende, überlegende und eher abwartende Internist oder der geschickte, pragmatische und entscheidungsfreudige Chirurg, die dann ab und an im Einzelfall bestätigt werden.“

Hand aufs Herz: Können Sie Ihren Job guten Gewissens jungen Talenten empfehlen?

Hülsen: „Grundsätzlich kann ich uneingeschränkt sagen, dass ich den Arztberuf weiterempfehlen kann. Es gibt – wie in jedem Beruf – Dinge, die nicht so attraktiv sind. Administrative Arbeit wird immer mehr, dadurch hat man weniger Zeit für und mit den Patienten. Außerdem nimmt das Patientenaufkommen nach dem Schließen der ambulanten Praxen erheblich zu, weil sich Patienten vor allem bei Bagatellverletzungen manchmal die Wartezeit bei ihrem niedergelassenen Orthopäden oder Chirurgen ersparen wollen. Nicht selten kommt es vor, dass sich die Ambulanz, deren eigentliche Aufgabe es ist, die Notfallversorgung zu gewährleisten, um hausärztliche Probleme kümmert. Nicht zuletzt durch diese Phänomene darf man die Belastung durch die Dienste, in denen man sich vielfach ganze Nächte um die Ohren schlägt, nicht unterschätzen. Trotz solcher Nachteile hat man allerdings die Möglichkeit, Menschen zu helfen und gemeinsam mit ihnen eine Verbesserung ihrer Lebenssituation herbeizuführen. Insofern erfährt man jeden Tag Erfolgserlebnisse und nicht selten auch ehrlich gemeinte Dankbarkeit.“