Sherlock Holmes im weißen Kittel

Radiologie
  • Beruf & Karriere
  • 20.11.2017

8246 Radiologen waren 2016 laut Bundesärztekammer in Deutschland berufstätig, das sind gut zwei Prozent aller Mediziner hierzulande. Radiologen bekommen Patienten von anderen Ärzten zugewiesen, ihr Arbeitsalltag ist stärker von Technik als von Gesprächen mit den Patienten geprägt.

Daniel Cornely aus Köln ist ursprünglich aus Zufall in diesem Fachgebiet gelandet. Gemeinsam mit vier Kollegen betreibt er eine Praxis in Berlin. Weitere Infos zur Fachrichtung findest du im Steckbrief.

Herr Cornely, was hat Sie dazu bewogen, in die Radiologie zu gehen?

Eigentlich wollte ich Kinderarzt werden, weil ich mir ein vielseitiges Arbeitsfeld gewünscht habe und mich nicht so festlegen wollte. Aber dafür gab es damals keine Ausbildungsplätze mehr. Da ich nichts Operatives machen wollte, habe ich mich als Arzt im Praktikum auf eine Stelle in der Radiologie beworben.

Hatten Sie vorher eine genaue Vorstellung davon, wie Ihr Alltag dort aussieht?

Richtige Vorstellungen von dem Fachgebiet hatte ich eigentlich gar nicht. Während meiner Studienzeit kam die Radiologie gerade einmal in zwei Semestern vor. Dabei ist sie so unglaublich wichtig, weil alle medizinischen Fachbereiche immer wieder auf uns zugreifen.

Was sind die größten Herausforderungen auf dem Weg zum Radiologen?

Die diagnostische Radiologie umfasst viele verschiedene Verfahren wie Röntgen, Ultraschall, Kernspin und Computertomografie oder die Mammografie. Alle Verfahren gründlich kennenzulernen und die richtigen Ausbildungen zu erhalten - das war für mich die größte Herausforderung. Ich hatte zum Beispiel nur eine sehr kurze Einweisung in die Angiografie. Aber einen Katheter in ein Blutgefäß zu schieben, ist eine besonders verantwortungsvolle Angelegenheit. Das lernt man nicht in ein paar Wochen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Kliniken nicht ständig jemand Neues anlernen möchten. Die Plätze waren meist für Kollegen reserviert, die später auch im Krankenhaus Karriere machen wollten.

Was sollte ein guter Radiologe mitbringen?

Großes Fachwissen, weil das Fachgebiet ein sehr breites Spektrum an Krankheitsbildern umfasst. Die Radiologie wird durch den technischen Fortschritt immer komplexer und geht immer mehr in die Tiefe, permanente Fortbildung ist also Pflicht. Oft sind Radiologen zudem sehr auf sich gestellt und bekommen von den Zuweisern nur wenige Informationen zu den Patienten. Sie müssen also extrem akribisch und sorgfältig arbeiten. Zumal die Kollegen aus anderen Gebieten, die ihre Patienten schicken, die Bilder in aller Regel nicht selbst auswerten können. Sie müssen sich also voll auf den Radiologen verlassen können. Viele schauen sich dann sehr genau an, wie der Befund des Kollegen zu den eigenen Diagnosen passt. So ergänzt sich die Arbeit der Ärzte natürlich.  

Ist es schwer, die Diagnosen in Textform zu bringen?

Ja. So mancher unerfahrene Kollege beschreibt sehr ausführlich Dinge, die er auf dem MRT sieht, die aber komplett irrelevant sind. Vielmehr gilt es, etwas zu erkennen, zu deuten und knapp und klar zu formulieren. Bei den Therapie- und Handlungsempfehlungen für die Kollegen sollte man auf die Wortwahl achten. Wer zu besserwisserisch zu argumentiert, macht sich schnell unbeliebt. Onkologen gebe ich grundsätzlich keine Empfehlungen mit, weil sie besser mir den Zeitspannen für Nachkontrollen bei Tumorpatienten vertraut sind.

Stichwort Vorurteile: Viele glauben, dass Radiologen grundsätzlich Top-Verdiener sind…

Früher stimmte das oft auch, weil bis in die 1970er Jahre das Vergütungssystem noch nicht gedeckelt war.  Aber mittlerweile haben sich die Strukturen geändert: Zum Beispiel schließen sich häufig Orthopäden zusammen, schaffen eigene Geräte an – und  stellen dann einen Radiologen an, der für sie die Auswertungen macht. Das verringert die Zuweisungen für Niedergelassene. Hinzu kommt, dass wir enorme Investitionskosten haben. Ohne Privatpatienten geht es nicht. Unsere Kostenquote ist sonst zu hoch.

Sie üben den Beruf jetzt seit 25 Jahren aus. Wird es nicht irgendwann einmal langweilig?

Im Gegenteil, es ist sogar viel besser, als ich es mir vorgestellt habe. Die Radiologie ist enorm facettenreich und entwickelt sich permanent weiter, das weiß ich sehr zu schätzen. Es heißt, dass Radiologen kaum mit Patienten sprechen. Das mache ich anders. Ich rede mit ihnen, um ihnen die Angst zu nehmen. Denn bei jedem Patienten, der zu mir kommt, besteht Verdacht auf eine Krankheit. Das verunsichert die Patienten sehr. Manche Erlebnisse belasten mich natürlich auch persönlich sehr. Einmal habe bei zwei Kindern kurz vor Heiligabend Tumore entdeckt. Ich wusste, dass sie es nicht schaffen würden. Das ging mir sehr an die Nieren. Ein halbes Jahr später starben sie. Solche Momente sind einfach furchtbar. Vor allem, wenn man selber Vater ist.

Was raten Sie angehenden Radiologen?

Erst einmal rate ich allen angehenden Medizinern, dass sie nie der Meinung sein sollten, ein Fach nicht zu brauchen. Das ist eine falsche Einstellung, die sich rächen wird. Jeder Studierende soll sich unbedingt eine positive Einstellung zu allen Lerninhalten bewahren. Ansonsten kann ich nur empfehlen, sich auch den unangenehmeren und aufwendigeren medizinischen Aufgaben zu stellen. Ich habe mich zum Beispiel auf Themen wie Rheuma oder Strahlentherapie gestürzt, weil ich alle Nischen abdecken wollte. Davon profitiere ich nun täglich.

 

STECKBRIEF

Tätigkeit
Die Radiologie ist ein Schnittstellenfach. Laut Musterweiterbildungsordnung umfasst sie die Erkennung von Krankheiten mit Hilfe von ionisierenden Strahlen, kernphysikalischen und sonographischen Verfahren sowie mit Anwendungen interventioneller, minimal-invasiver radiologischer Verfahren. Laut Deutscher Röntgengesellschaft e.V. werden bis zu 70 Prozent  aller Diagnosen mit Hilfe radiologischer Methoden gestellt.

Weiterbildungszeit
Nach dem Studium der Humanmedizin schließt sich eine fünf- bis siebenjährige Facharztweiterbildung an, entweder in einem Krankenhaus oder einem radiologischen oder nuklearmedizinischen Institut. Radiologen haben nach ihrer Ausbildung die Wahl zwischen verschiedenen Berufswegen. Sie können sich in einem Krankenhaus oder einer Praxis anstellen lassen, sich als Facharzt niederlassen oder zum Beispiel eine Universitätslaufbahn einschlagen.

Zukunftsprognose
Die Aussichten sind sehr gut. Laut PWC Studie zum Fachkräftemangel im Gesundheitswesen werden zukünftig vor allem Radiologen in Krankenhäusern fehlen. 2030 soll es dort 4.000 Radiologen zu wenig geben, im ambulanten Bereich rechnet man mit einer Lücke von 1.600 Fachärzten.

Weitere Informationen
Berufsverband der Radiologen
Deutsche Röntgengesellschaft