Sechs Wochen im Schlachthof

  • Studium & Lernen
  • 18.09.2018

Veterinärmediziner sorgen dafür, dass Tiere gesund bleiben. Aber sie sind auch bei der Lebensmittelkontrolle und -hygiene von Fleischprodukten gefragt: Alle Studierenden der Tiermedizin in Deutschland müssen deshalb ein dreiwöchiges Pflichtpraktikum in einem Schlachtbetrieb absolvieren. Was erwartet sie auf einem Schlachthof? Und wie verarbeitet man das Erlebte? Christine studiert im 10. Semester Veterinärmedizin an der Freien Universität in Berlin - und erklärt hier, wie sie zwischen Schweinefleisch-Proben und Geflügelteilen zurechtgekommen ist.

Wann hast du dein Praktikum auf dem Schlachthof gemacht - und wo?

Das Schlachthof-Praktikum ist für den Zeitraum des Praktischen Jahres vorgesehen, das heißt im 9. oder 10. Semester. Ich war im 9. Semester, als ich das Praktikum im Januar 2018 absolviert habe. Ich hatte eine Praktikumsstelle beim Veterinäramt im Landkreis Dahme-Spree in Beeskow in Brandenburg. Hier war ich in unterschiedlichen Schlachthöfen im Einsatz. Dazu zählten ein großer Geflügelschlachtbetrieb und drei Kleinbetriebe für Rinder- und Schweineschlachtung.

Hat dich die Hochschule bei der Suche nach einem Praktikumsplatz unterstützt?

Nein, ich habe mir Infos beim  Bundesverband der Veterinärmedizinstudierenden Deutschlands (bvvd) besorgt: Der führt in einer Liste alle EU-zugelassenen Schlachtbetriebe auf, die Praktikumsplätze zur Verfügung stellen. Die Kontakte habe ich abtelefoniert, um eine Stelle zu finden. Das war gar nicht so einfach, weil die freien Plätze immer schnell vergeben sind. Man sollte sich deshalb schon rechtzeitig darum kümmern. Also am besten schon ein bis zwei Jahre vor dem Praktikum!

Wie war das Finanzielle geregelt?

Da es sich um ein Pflichtpraktikum im Rahmen des Studiums handelte, bin ich nicht bezahlt worden. Gewohnt habe ich während dieser Zeit für 280 Euro in einer Pension, die ich mir selbst gesucht habe. Außerdem musste mir noch eine Schürze, Stiefel und Messer kaufen.

Auf einem Schlachthof zu arbeiten, ist keine angenehme Vorstellung. Welche Gefühle und Erwartungen haben dich beschäftigt?

Schlachthöfe kannte ich nur aus Dokumentationen. Freiwillig, das gebe ich zu, hätte ich so ein Praktikum nicht gewählt. Trotzdem habe ich versucht, möglichst unvoreingenommen an die Sache heranzugehen. Durch Gespräche mit Kommilitonen, die das Praktikum schon hinter sich hatten, habe ich einen kleinen Eindruck davon bekommen, was auf mich zukommt.

Was hast du während des Praktikums gelernt?

Ich habe bei Schlachtkörper-Tieruntersuchungen geholfen. Tierärzte, die im Veterinäramt oder in der Lebensmittel-/Fleischhygiene arbeiten, untersuchen dabei Organe und Tierkörperhälften. Sie müssen darauf achten, dass keine abweichenden Veränderungen vorliegen, sonst wäre das Fleisch nicht mehr für den Verzehr geeignet. Außerdem habe ich im Veterinäramt Trichinenuntersuchungen vorgenommen. Dafür untersucht man Fleischproben von erlegten Wildschweinen und von Schweinen, die aus Hausschlachtungen stammen.

Wie sah ein typischer Arbeitsalltag für dich aus?

In der Regel habe ich von acht bis 16 Uhr gearbeitet. Oft haben wir die Proben aus den Schlachtstätten abgeholt oder sie selbst  in den Betrieben entnommen. In dem Geflügelschlachtbetrieb stand ich auch am Fließband und habe die Teile aussortiert, die nicht essbar sind. Bei den Schlachtungen selbst waren wir meistens nicht dabei, weil sie normalerweise zwischen drei und sieben Uhr morgens stattfinden.

Gab es Situationen, die dich belastet haben?

Ich hatte schon Sorge, dass mir das Praktikum sehr zusetzen würde. Im Nachhinein bin ich überrascht, dass es dann doch keine Horror-Erfahrung war, wie es in vielen Berichten und Filmen beschrieben wird. In den drei Wochen habe ich viel gesehen und gelernt, was einem Großteil der Bevölkerung verborgen bleibt. Besonders im Gedächtnis ist mir der Geflügelschlachtbetrieb geblieben. Von der Anlieferung bis hin zum verpackten Endprodukt: Das Tier wird in so einem Riesenbetrieb von Anfang an als Ware betrachtet. Alles läuft vollautomatisch. Über 200 Tiere in der Minute werden dort geschlachtet! Das mitzuerleben war krass. Auch die Arbeitsbedingungen fand ich heftig. Es herrscht eine unglaubliche Luftfeuchtigkeit in den Räumen, da ständig alles zur Reinigung mit Heißwasser abgesprüht wird.

Was hast Du als positiv erlebt in der Zeit im Schlachthof?

Ich war mit einer Studienfreundin dort, so konnten wir uns am Ende des Arbeitstages immer über das Gesehene und Erlebte austauschen. Auch die Mitarbeiter in den Betrieben waren alle sehr nett, so dass ich mich insgesamt gut betreut gefühlt habe. Die kleineren Betriebe, in denen Rinder und Schweine geschlachtet wurden, fand ich überraschend angenehm. So angenehm wie ein Schlachthof eben sein kann. Zweimal in der Woche werden dort nur fünf bis 30 Tiere von Hand geschlachtet. Sie stammen aus der unmittelbaren Umgebung und werden nicht stundenlang im Lastwagen quer durch Deutschland transportiert. Der Umgang mit den Tieren wirkte dadurch sehr viel ruhiger. Man hatte so auch insgesamt mehr Zeit, sich mit den einzelnen Prozessen auseinanderzusetzen.

Hat sich deine Einstellung zu Schlachthöfen durch das Praktikum verändert?

Inzwischen bin ich ganz froh, dass ich das einmal gesehen und erlebt habe. Nur wenn man vor Ort war und die Abläufe kennt, kann man fundiert darüber reden. Mich hat die Zeit im Schlachthof auch darin bestärkt, mich weiterhin vegetarisch zu ernähren. Als Tierärztin möchte ich später ohnehin in einem anderen Bereich arbeiten. Die Wildtiermedizin finde ich sehr reizvoll. Ich habe schon mehrere Praktika in dieser Richtung absolviert. Eines davon war in Australien, wo ich mich um Koalabären gekümmert habe. Vielleicht werde ich auch nach dem Abschluss eine Promotion oder einen Fachtierarzt machen. An der Uni in Adelaide gibt es derzeit spannende Forschungsprojekte zur Wildtiermedizin. Eines geht zum Beispiel der Frage nach, warum so viele Koalas Nierenversagen bekommen. Klingt exotisch - aber mich interessiert so etwas einfach mehr als Veterinärmedizin in der Lebensmittelhygiene!
 

Wusstest du, dass im Jahr 2017…

  • in Deutschland 58 Millionen Schweine, 3,6 Millionen Rinder und über 683 Millionen Geflügelarten geschlachtet wurden?
  • jeder Deutsche im Durchschnitt rund 60 Kilo Fleisch pro Jahr isst?
  • 5,7 Millionen Vegetarier in Deutschland bewusst auf Fleisch verzichten?
  • 1.425 Betriebe in Deutschland in der Schlachtung und Fleischverarbeitung tätig waren?
  • dieser Zweig der Lebensmittelindustrie insgesamt rund 43,7 Milliarden Euro umgesetzt hat?
  • laut Tierärztestatistik der Bundestierärztekammer nur 52 von insgesamt 41.431 tätigen Tierärzten in Deutschland in der Fleischwaren- und Lebensmittelindustrie beschäftigt waren?

Quelle: Statista-Dossier zum deutschen Schlacht- und Fleischverarbeitungsgewerbe