Das lange Warten

  • Beruf & Karriere
  • 10.12.2018

Die Wartezeit auf einen Medizinstudienplatz wird als Kriterium für die Studienplatzvergabe abgeschafft. Jetzt sehen viele Wartende ihre Felle davonschwimmen - wie Arwen Freidanck.

Arwen Freidanck hat schon eine Menge Patienten erlebt. „Patienten mit Herzinfarkt, mit Traumata, psychiatrische Patienten, Unfall-Patienten und Reanimationen,“ erzählt sie. Die 24-Jährige ist in der Ausbildung zur Notfallsanitäterin - und sie will im kommenden Jahr ihr Medizinstudium beginnen. Auf jeden Fall, wie sie sagt. Man könnte denken: Arwen weiß dann weit besser, was auf sie als Ärztin zukommt als die allermeisten Erstsemester der Medizin.

Aber wenn es ganz dumm läuft, wird der Studien- und Lebensplan von Arwen Freidanck scheitern. Denn weil sie kein Spitzen-Abitur gemacht hat, wartet sie schon seit 6 Jahren auf einen Studienplatz. Inzwischen allerdings hat sich die Kultusministerkonferenz (KMK) der Länder darauf geeinigt, die Wartezeit als Kriterium für die Zulassung abzuschaffen. Hintergrund dafür ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2017, das das bisherige Auswahlverfahren zum Medizinstudium für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt hatte (Az.: 1 BvL 3/14 und 1 BvL 4/14).

Talent-Quote soll Chancengleichheit sichern

Seit Anfang Dezember 2018 steht jetzt fest, wie die KMK sich die künftigen Zulassungswege zum Medizinstudium in etwa vorstellt: Nicht nur 20 wie bisher, sondern sogar 30 Prozent der Studienplätze sollen in Zukunft über einen Numerus Clausus vergeben werden. Außerdem will man die Unis gesetzlich dazu verpflichten, für 60 Prozent der Plätze neben der Abi-Note zwei weitere Auswahlkriterien zu definieren. Rollenspiele oder Auswahlgespräche kommen hier in Frage, verpflichtend vorgeschrieben ist ein fachspezifischer Studieneignungstest. Ganz neu eingeführt werden soll eine Eignungsquote von zehn Prozent: Sie darf, so der Plan, nur von den Schulnoten unabhängige Kriterien berücksichtigen. Was das für diejenigen bedeutet, die wie Arwen schon seit Jahren auf einen Studienplatz warten? Das ist im Detail noch immer unklar - es soll Übergangsregeln geben.

„Ich habe mich schon mit 16 dazu entschlossen, Ärztin zu werden“, erzählt Arwen. Mit ihrer 2,3 im Abi hatte sie keine Chance auf einen Studienplatz. So viel war klar. Also hieß es, zu warten und die Zeit sinnvoll zu nutzen. Ein anderes Studium durfte sie nicht beginnen, dann wäre ihr die Wartezeit nicht angerechnet worden.

Also hat sie sich in den zurückliegenden Jahren intensiv auf das Studium vorbereitet: Erst absolvierte sie ein freiwilliges soziales Jahr in Deutschland und der englischen Camphill Community, dann begann sie eine Ausbildung zur Rettungsassistentin. Als der Ausbildungsgang 2014 von dem zum Notfallsanitäter abgelöst wurde, sattelte auch Arwen um und lernt den Beruf jetzt in Bremen. Im kommenden Jahr wird sie die Ausbildung abschließen. „Gerade die Arbeit in der Notfallmedizin hat mich in meinem Berufswunsch, Ärztin zu werden, sehr bestärkt“.

Wie viele junge Leute derzeit auf einen Medizinstudienplatz warten, weiß niemand. Weder der medizinische Fakultätentag noch die Stiftung für Hochschulzulassung. Klar ist nur so viel: Auf jeden Medizinstudienplatz kommen im Schnitt fünf Bewerberinnen und Bewerber. Viele Wartende sind jetzt wie Arwen in Sorge: „Ich fände es extrem hart, wenn für mich im kommenden Jahr alles vorbei wäre“, sagt sie. „Ich habe bewusst kein anderes Studium begonnen, um die Bedingungen für das Medizinstudium zu erfüllen. Dabei wäre ein zwischenzeitliches Chemie- oder Biologie-Studium für die spätere Medizinlaufbahn sicher gut gewesen.“
 

Keine vergeudete Zeit: Die Ausbildung zur Notfallsanitäterin ist für viele eine gute Vorbereitung aufs Medizinstudium.

Keine vergeudete Zeit: Die Ausbildung zum Notfallsanitäter bereitet optimal auf den Medizinberuf vor.
 

Durch ihre Ausbildung als Mensch gewachsen

Die Gegner der Wartezeitregelung argumentierten stets, der große Abstand zwischen Abitur und Studium beeinträchtige die Lernkarriere. „In der Gruppe der über die Wartezeit zugelassenen Studierenden ist die Abbrecherquote, meist in den ersten beiden Studienjahren vor dem ersten Staatsexamen, deutlich höher als in den anderen Quoten“, schreiben der Medizinische Fakultätentag und die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in einer gemeinsamen Stellungnahme.

Womöglich wird Arwen von der Eignungsquote profitieren, die vor allem Studienanwärtern mit einschlägiger beruflicher Vorbildung zugute kommen soll. Sicher aber ist das nicht. Wie die neuen Regelungen ganz konkret aussehen, wird sich erst 2019 herausstellen. Anfang des Jahres muss noch die Ministerpräsidentenkonferenz dem Vertragswerk der KMK zustimmen, anschließend ratifizieren noch die Länderparlamente.

Für sie selbst sei die Wartezeit bisher keine verlorene Zeit gewesen, sagt Arwen. Sondern „Jahre des praktischen und menschlichen Lernens“. Wenn es klappt mit dem Studienplatz, will sie Landärztin werden. „Landärzte werden doch gesucht ohne Ende!“, sagt sie. „Es wäre paradox, wenn ich keinen Studienplatz bekäme."