Heute Remscheid, morgen Eberswalde

Als Honorararzt muss man sich ständig auf neue Kollegen und Abläufe einstellen - allzu viel Wohlwollen darf man nicht erwarten.
  • Beruf & Karriere
  • 20.03.2019

Mehr Freiheiten, mehr Geld – das verspricht eine Arbeit als Honorar-Arzt. Tausende Mediziner in Deutschland sind auf eigene Rechnung oder als Zeitarbeiter unterwegs. Wie ist es, von Klinik zu Klinik zu springen?

Jahrelang schuftete Dr. Zsofia Pohlinger praktisch nonstop. Ihr Klinikgehalt als Assistenzärztin besserte sie mit Notarzteinsätzen und Nebenjobs auf Honorarbasis auf. Finanziell ging es nicht anders, denn die heute 54-Jährige hat eine große Familie mit fünf Kindern. „Mein Mann und ich hatten vor Jahren ohne Vermögen ein Haus gekauft, um genug Platz zu haben“, erzählt die Internistin. Trotz allem Fleiß war das Ehepaar oft knapp bei Kasse. Im Frühjahr 2012 entschied sich Pohlinger darum für einen anderen Weg: Als ein Arbeitsvertrag auslief, wurde sie Vollzeit-Honorar-Ärztin. Von heute auf morgen hatte sie wieder mehr Freizeit und verdiente deutlich mehr – auch nach allen Abzügen. Wie viel mehr es war, darüber hält sie sich bedeckt.

 

Foto: privat

Dr. Zsofia Pohlinger (54) wurde in Budapest geboren, wo sie auch Medizin studierte. 1998 zog sie nach München, als ihr Mann dort eine Stelle an der Universität antrat. Eine Zeit lang kümmerte sich die Ärztin vor allem um ihre Familie und bemühte sich um ihre Berufsanerkennung. Ab 2005 arbeitete sie im Raum München in verschiedenen internistischen Kliniken, in der Intensivmedizin sowie als Notärztin. Seit 2012 ist Zsofia Pohlinger auf eigene Rechnung oder in Zeitarbeit tätig – je nachdem, welches Modell eine Klinik bevorzugt. Auch ihre Facharztprüfung in Innerer Medizin legte sie in dieser Zeit ab.

Dr. Christoph Gosepath ist da offener. Der Psychiater mit eigener Praxis in Berlin übernimmt zusätzlich Nachtdienste an verschiedenen Krankenhäusern, vermittelt über spezialisierte Zeitarbeitsfirmen. Mal ist er tageweise in Remscheid, mal in Eberswalde, mal in Rotenburg in Niedersachsen. Er nennt eine Hausnummer für seinen Verdienst: „Im Nacht- oder Bereitschaftsdienst bezahlt eine Klinik bis zu 85 Euro pro Stunde an die Zeitarbeitsfirma, also für einen Wochenend-Dienst von 36 Stunden an die 3.000 Euro.“ Davon zieht der Arbeitgeber dann noch Sozialabgaben, Steuern sowie Rücklagen für Urlaubs- oder Krankheitstage ab. Für Reisen muss der Facharzt selbst aufkommen; Unterkünfte stellen meistens die Kliniken.

Auszeiten für Theaterprojekte

Für Gosepath ist das Modell attraktiv, weil er seine Arbeitszeiten flexibel gestalten kann. Er legt die Dienste so, dass er drei Tage die Woche in seiner Praxis sein kann. Und er nimmt sich immer wieder längere Auszeiten – für sein Theaterprojekt Club Tipping Point. Seit seiner Jugend steht er auf der Bühne, inszeniert Stücke und verwirklicht gemeinsam mit Künstlerkollegen eigene Ideen. „Diese Projekte brauchen viel Zeit, aber der Verdienst liegt im freien Theater bei null. Ich finanziere das über meine Arzttätigkeit“, so der 58-Jährige. Allerdings bringt er beide Welten nicht immer so gut unter einen Hut, wie er sich das wünscht: „Die Nachfrage nach Honorarärzten ist enorm, und es fällt mir teilweise schwer, nein zu sagen.“
 

Foto: privat

Dr. Christoph Gosepath (58) ist in Recklinghausen aufgewachsen. Er studierte erst Philosophie und Literatur in Hamburg und Berlin. Nach dem Abschluss nahm er ein Medizinstudium an der Freien Universität Berlin auf – um neben der Arbeit als Theatermacher ein zweites Standbein zu haben.  Nach seiner Assistenzzeit am Evangelischen Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge in Berlin-Lichtenberg widmete sich Gosepath einige Jahre dem Theater. 2001 stieg er wieder in den Arztberuf ein und schloss eine Weiterbildung in der Psychiatrie ab. Seit 2015 betreibt er eine psychotherapeutische Gemeinschaftspraxis in Berlin und übernimmt zusätzlich Dienste an verschiedenen psychiatrischen Kliniken.
 

Ohne qualifizierte Springer kommen viele deutsche Kliniken nicht mehr aus, bestätigt Torsten Blaschke, kaufmännischer Geschäftsführer bei doctari. Die Vermittlungsagentur für Mediziner und Pflegekräfte startete 2008 mit einer Kartei von 20 Honorar-Ärzten; heute sind dort mehr als 10.000 Mediziner registriert, die ihre Dienste haupt- oder nebenberuflich anbieten. Vor allem Akut- und Rehakliniken melden sich bei doctari, wenn sie Personalbedarf haben. „Das kann vorübergehend während der Sommerferien sein oder aufgrund von Krankschreibungen. Oft gelingt es den Kliniken aber auch nicht, offene Stellen zu besetzen“, erklärt Blaschke. Die Nachfrage sei dennoch nicht nur aus der Not geboren. „Krankenhäuser möchten auch flexibel sein, zum Beispiel beim OP-Personal. Da ist nicht alles so planbar, dass man immer festangestellte Fachärzte vorhalten möchte.“ Entsprechend stark gefragt seien etwa Anästhesisten. Daneben wachse auch der Markt für Internisten, Gynäkologen, Psychiater und Neurologen. 

Leiharbeit liegt im Trend

Etwa 70 Prozent der Spezialisten, die doctari vermittelt, sind in Arbeitnehmerüberlassung tätig. Sie sind bei der Agentur angestellt und erhalten ein Gehalt. Abrechnungen und andere Bürokratie übernimmt der Vermittler – und die Kliniken können  sicher sein, dass sie keine Scheinselbstständigen beschäftigen. „Seit einigen Jahren sind die Krankenhäuser sehr vorsichtig, da vermehrt Kontrollen stattfinden“, so Blaschke. Er erwartet, dass sich in Zukunft noch mehr Mediziner für das flexible Berufsmodell entscheiden. „Die junge Ärztegeneration legt einfach höheren Wert auf selbstbestimmtes Arbeiten und eine sehr gute Bezahlung.“ Ärzte, die doctari vermittelt, seien sehr zufrieden mit der flexiblen Anstellung, die ihnen mehr Spielräume gebe, sei es fürs Privatleben oder für Einsätze bei Hilfsorganisationen. Angehenden Medizinern rät Blaschke, erst einmal eine Fachrichtung zu finden, die ihnen Spaß macht. Einsatzmöglichkeiten finden sich dann schon.
 

Rent a doc

Als Honorar-Ärzte bezeichnet man Mediziner, die als Selbstständige bei wechselnden Auftraggebern tätig sind. Zahlreiche Kliniken bevorzugen inzwischen jedoch ärztliche Zeitarbeitskräfte – das senkt den Verwaltungsaufwand und ist arbeitsrechtlich sicherer. Wie viele Leihärzte es aktuell in Deutschland gibt, ist statistisch nicht dokumentiert. 2010 arbeiteten laut Bundesverband der Honorarärzte bis zu 4.000 Mediziner zumindest hin und wieder aushilfsweise. In der Zwischenzeit dürfte diese Zahl deutlich höher liegen, wie der wachsende Markt der Personalvermittler nahelegt: Nach eigenen Angaben hat etwa doctari um die 10.000 Ärzte im Register. Mehr Informationen zum freien Arbeiten als Arzt findest du zum Beispiel auf den Seiten des Bundesverbands der Honorarärzte.

Facharzt als Honorar-Arzt machen? Schwierig!

Zsofia Pohlinger ist schon viel herumgekommen. Über die Jahre hat sie in über zehn Kliniken gearbeitet, vor allem in Süd- und Ostdeutschland. Gegenüber festangestellten Kollegen im Krankenhaus sieht sie sich fachlich im Vorteil: „Ich habe viele unterschiedliche Bereiche kennengelernt, neben der Inneren Medizin und Intensivmedizin zum Beispiel auch Pulmonologie und Rheumatologie. Einen so breiten Überblick bekommt man nicht, wenn man nur in ein, zwei Kliniken gearbeitet hat.“ So lehrreich das sein mag – jungen Ärzten empfiehlt sie dennoch, ihre Weiterbildung als Angestellte zu absolvieren: „Ich selbst habe meinen Facharzt damals als Honorar-Ärztin abgeschlossen. Das ist aber in jedem Bundesland etwas anders geregelt und deutlich schwieriger.“ Damit Weiterbildungseinheiten anerkannt werden, muss ein Assistenzarzt eben für längere Zeit an einer bestimmten Klinik sein und dies bescheinigt bekommen. 

Kein Neid, aber hohe Erwartungen

Ein weiterer Nachteil der häufigen Ortswechsel: Man muss sich ständig auf neue Vorgesetzte, Kollegen und Abläufe einstellen. Allzu viel Wohlwollen dürfe man nicht erwarten, sagt Christoph Gosepath. „Du musst damit rechnen, dass dir der Wind ins Gesicht bläst. Am Anfang kennt man das Haus und die Wege nicht; die Aufnahme von Patienten läuft überall anders; die Computersysteme sind anders. Und manche Häuser sind so unterbesetzt, dass den Leuten der Stress aus dem Gesicht scheint. Die Kollegialität ergibt sich erst mit der Zeit.“ Zsofia Pohlinger erlebt das ähnlich. „Es dauert ein paar Wochen, bis ich das Vertrauen der Kollegen gewonnen habe und sie merken, sie können sich auf mich verlassen“, erzählt sie. Neid und Ablehnung erkenne sie bei den festen Mitarbeitern jedoch nicht. „Die meisten sind neugierig und fragen mich aus, wie das mit der flexiblen Arbeit so funktioniert.“